Ägyptische Kindermumien

Was verrät die Untersuchung von Kindermumien über die Lebensbedingungen im alten Ägypten? Dieser Frage geht das an den Reiss-Engelhorn-Museen beheimatete German Mummy Project nach. Moderne Analysetechniken eröffnen neue Erkenntnisse.

Viele denken beim Thema Ägypten sicher an aufwändig umwickelte und prächtig dekorierte Mumien, vielleicht sogar an Pharaonenmumien. Dies kommt kaum von ungefähr in einer Zeit, in der die altägyptische Hochkultur und ihr faszinierender Totenkult ungebrochen attraktiv für mediale Beiträge sind. Vermutlich hat manch ein Ägypten-Begeisterter im letzten April „The Pharaoh‘s Golden Parade“ in den Medien verfolgt, im Zuge derer 22 königliche Mumien auf geschmückten Fahrzeugen vom Ägyptischen Museum im Zentrum Kairos ins National Museum of Egyptian Civilization verbracht wurden.

Doch nicht nur das öffentliche Interesse am alten Ägypten ist groß. Moderne Analysetechniken eröffnen Wissenschaftler*Innen neue Wege, um bislang unbeantwortete Fragen über die Menschen vor Jahrtausenden zu beantworten. Dabei rücken zunehmend auch Kindermumien in den Fokus. Ihre Bewahrung in den Museen der Welt ermöglicht es, mehr über die Lebensbedingungen von Kindern im alten Ägypten zu erfahren. Sie werden somit quasi zu Botschaftern der antiken Lebenswelt am Nil. Beispielhaft werden nachfolgend drei römerzeitliche Kindermumien vorgestellt. Ihre Untersuchung über das medizinische Bildgebungsverfahren der Computertomographie erbrachte spannende Einblicke und neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Das Grab der Aline

Das Grab der Aline wurde 1892 von dem Privatsammler Richard von Kaufmann in Hawara, einem Friedhofsbezirk in der Fayum-Oase, entdeckt. Durch den Fund eindrucksvoller römerzeitlicher Mumien mit Masken und Porträts in den späten 1880er Jahren zog der Ort das Interesse von Ausgräbern auf sich. Das Grab der Aline stammt aus dem 1. bis 2. Jahrhundert n. Chr. Es erhielt seine Bezeichnung durch eine Grabstele mit griechischer Inschrift, die eine Frau namens Aline erwähnt und am Kopfende ihrer Mumie aufgestellt war. In dem aus Nilschlammziegeln gemauerten Kammergrab lagen acht Mumien.

Zum Verbleib dreier in Leinenstoff gehüllter Mumien ohne Dekoration ist nichts bekannt. Die Mumie eines Mannes mit vergoldeter Maske und die Porträtmumie der Aline wurden noch vor Ort ausgewickelt. Glücklicherweise nicht ausgewickelt wurden die Mumien dreier Kinder. Diese Kindermumien sowie das Mumienporträt und die Mumienmaske des Mannes sind dauerhaft im Ägyptischen Museum und Papyrussammlung Berlin ausgestellt.

Drei prächtige Kindermumien

Die äußeren Leinenbandagen der Mumien wurden kassettenartig gewickelt, sodass rautenförmige Vertiefungen entstanden. Bei den beiden jüngeren Kindern, einem 2-4jährigen Mädchen und einem 2-3jährigen Jungen, sind in einigen Vertiefungen vergoldete Stuckknöpfe zu sehen. Ihre Mumien wurden mit detailreich gestalteten Mumienporträts dekoriert, die in Temperatechnik auf Leinengewebe gemalt und in Höhe des Gesichts positioniert wurden. Den Malgrund bildete die letzte Lage des unter der Kassettenwicklung liegenden Leinentuches, mit dem der Körper mehrfach umwickelt wurde.

Für die farbige Gestaltung der Porträts wurden in Ägypten Mineralfarben in Wasser gelöst mit einem Bindemittel, häufig Öl oder Wachs, vermischt. Gesicht und Oberkörper der dritten Mumie eines 6-7jährigen Mädchens waren mit einer bemalten und teilweise vergoldeten Maske aus Kartonnage bedeckt. Die aufwändige Wicklungstechnik und hochwertige Gestaltung der Porträts und der Maske mit Frisuren und Schmuckelementen nach römischem Vorbild, lassen vermuten, dass es sich um Kinder einer wohlhabenden Familie handelt.

Hinweise über Computertomographie

Es wird vermutet, dass Infektionen ein täglicher Begleiter der Menschen im alten Ägypten waren und wohl eine der häufigsten Todesursachen. In einer Zeit vor der Verfügbarkeit von Antibiotika waren die medizinischen Möglichkeiten gegen Infektionen begrenzt. Insbesondere Säuglinge und Kinder waren einem erhöhten Risiko ausgesetzt.

Bei der Computertomographie-Untersuchung von drei Kindermumien – darunter die Porträtmumien aus dem Grab der Aline – fanden Mumienforscher des German Mummy Projects kürzlich Befunde, die als getrocknete Reste eitriger Substanzen und Hinweise auf Infektionen interpretiert wurden. Todesursache der Kinder könnte eine Blutvergiftung in Folge einer bakteriellen Infektion gewesen sein.

Die Porträtmumie des Mädchens zeigte an der infizierten Stelle einen Fremdkörper, bei dem es sich wohl um einen Wundverband handelt. Eine wichtige zeitgenössische Quelle für Ägyptologen zur Behandlung von Wunden, Brüchen und anderen Verletzungen ist der medizinische Papyrus Edwin Smith. In einem der Lehrtexte des Papyrus aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. wird eine infizierte Wunde beschrieben. Empfohlen wird das Auftragen verschiedener pulverisierter Heilsubstanzen mit einer Bandage. Die jüngsten Funde erbrachten nicht nur neue Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des Kindes, sie scheinen auch altägyptische Schriftquellen zur Behandlung von infizierten Wunden zu bestätigen, und wurden kürzlich veröffentlicht.

Neugierig geworden?

Erfahren Sie mehr über die Arbeit des German Mummy Project. Seit 2004 ist es an den an den Reiss-Engelhorn-Museen beheimatet. Mit Hilfe modernster Methoden werden Mumien aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen ihre Geheimnisse entlockt.

Lesen Sie die komplette Studie zu Hinweisen auf Infektionen an altägyptischen Kindermumien in der internationalen Fachzeitschrift International Journal of Paleopathology.

Mehr über Leben und Totenkult im Land am Nil erfahren Sie auch in unerer Ausstellung Ägypten – Land der Unsterblichkeit

Lesetipp

Helmbold-Doyé, J. (Hrsg.): Aline und ihre Kinder. Mumien aus dem römerzeitlichen Ägypten. Ägypten im Blick, Bd. 2, Reichert Verlag, Wiesbaden 2017