„Trümmerfrauen“ (1946) von Robert Häusser

Vor 75 Jahren geht der Zweite Weltkrieg in Europa offiziell zu Ende. Die meisten deutschen Städte liegen in Schutt und Asche. Der Mythos der Trümmerfrauen wird geboren. Ein Motiv, dem sich auch der junge Fotograf Robert Häusser in einem preisgekrönten Bild annimmt.

Durch die Luftangriffe gleichen die meisten deutschen Innenstädte im Mai 1945 Ruinenfeldern. Viele hausen in ausgebombten Häusern, noch schlimmer, die meisten Menschen haben kein eigenes Dach mehr über dem Kopf. In dieser Nachkriegssituation müssen Trümmer schnell beseitigt werden, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Für diese Aktionen wurden die sogenannten "Trümmerfrauen“ eingesetzt.

Trümmerräumung war nicht nur ein Zeichen der Ächtung, sondern zuerst auch eine Art von Strafarbeit, welche an das System der Schuttbeseitigung durch deutsche Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in der NS-Zeit erinnern sollte. Dieses System der Trümmerräumung als Sühne und Strafarbeit wurde von deutschen Stadtverwaltungen und alliierten Besatzungsmächten übergangslos nach dem Krieg regional begrenzt und nur in einem kurzen Zeitraum 1945/46 praktiziert. Zu diesem Arbeitskommando wurden insbesondere Familien von NSDAP-Mitgliedern und Mitläufern, später Freiwillige, mehr Männer als Frauen, wie auch Arbeitslose für solche Aufräumaktionen mit Sondervergütungen durch Essensrationen eingesetzt.

Mythos Trümmerfrau

Fotografien und kleine Filmausschnitte zeigen Frauen in einer Menschenkette vor kaputten Hausfassaden auf Geröllhügeln, die Eimer voll mit Schutt von Hand zu Hand weiterreichen oder einzelne Steine, die säuberlich aufgetürmt und somit recycelt werden. Tatsächlich wurden aber rund 400 Millionen Kubikmeter Schutt und Trümmer vor allem von Baufachbetrieben weggeräumt, so dass es ein Mythos ist zu behaupten, dass die Trümmerräumung ausschließlich von Frauen erbracht wurde.

In Berlin und in den Städten, die unter sowjetischer Besatzung standen, kamen Arbeitslose stark zum Einsatz darunter auch eine hohe Anzahl von Frauen, um bessere Lebensmittelkarten zu bekommen, da es ums nackte Überleben ging. Durch eine geschickte Medienkampagne wurde ab 1945/46 versucht, diese stigmatisierte Tätigkeit in ein positives und ehrenvolles Image umzuwandeln. Der Mythos Trümmerfrau war geboren. Dadurch geriet die ursprünglich auferlegte Strafarbeit zu einer motivierenden und sinnstiftenden Leistung mit einem eigenen Beitrag für den Aufbau eines neuen Deutschland. Für ein neues Sauber-Image der Trümmerfrau wurden Fotos in Szene gesetzt. Schön geschminkte Gesichter ohne Schweißperlen und Staub auf der Stirn und ohne geeignete Arbeitskleidung, so blicken die Statisten lächelnd in die Kamera.

Viele Fotografien aus der Zeit sind gestellt, nicht jedoch eine besondere Aufnahme von Robert Häusser (1924-2013). Im sogenannten "Künstlerischen Werk“ des Ausnahmefotografen finden wir ein Bild mit dem Titel "Trümmerfrauen“ von 1946. Mit gerade mal 24 Jahren hat er dieses Bild in den Berliner Ruinen aufgenommen. Für das Bild erhielt Häusser beim Internationalen Fotowettbewerb der "Camera”, Luzern, Schweiz, ein Diplom ”In Anerkennung hervorragender Leistung” und in der Illustrierten Rundschau, Berlin, erzielte das Foto den 3. Preis.

Zwischen "Neuer Sachlichkeit“ und "Magischem Realismus“

In einem zerstörten Haus sitzen zwei Frauen in einem Schutthaufen und befreien die Steine von Zement- und Mörtel-Resten mit einer Spitzhacke. In den dunklen Raum dringt wie ein Bühnenscheinwerfer ein starker Lichtstrahl ein, und im Gegenlicht zeichnet sich besonders die im Profil auf den Knien sitzende Frau mit Schürze und Kopftuch ab. Durch das Behauen der Klinkersteine bilden sich Staubmassen, die Lichtstrahlen sichtbar werden lassen und an Rauch- oder Nebelschwaden erinnern. Dadurch entsteht im Auge des Betrachters eine lebendige optische Modulation von klaren bis unscharfen Bildpartien. Der Bildraum mit leichter Aufsicht steht in einem Spannungsverhältnis zwischen dokumentarischer Aufnahme und atmosphärischer Dichte, die an Rembrandts magische Lichtdramaturgie erinnern könnte.

Die Realität wird in Häussers Bild in etwas Überwirkliches, Überzeitliches, Rätselhaftes transponiert und erhöht. Angesichts der realen Situation dieser Trümmerfrauen strahlt paradoxerweise das Bild etwas Feierliches und Sakrales aus, ohne in eine heroische und verlogene Bildpropaganda zu verfallen. Die Situationsaufnahme transformiert sich zu einer Bildgestaltung mit ikonenhafter Ausstrahlung. Der Gradwanderung zwischen Kitsch und reiner Verklärung entgeht Häusser, indem er eine reduzierte und meisterliche Bildtektonik entgegensetzt.

Ausnahmefotograf Robert Häusser

"Ich erfinde meine Bilderwelt nicht, sondern ich finde sie", sagte Robert Häusser. Der gebürtige Stuttgarter war einer der wichtigsten Fotografen der Nachkriegszeit. Als erster deutscher Fotograf erhielt er 1995 eine hohe Auszeichnung, den Hasselblad Award, der von Fotokennern als der "Nobelpreis“ in der Fotografie angesehen wird. In seinen strengen Schwarz-Weiß-Arbeiten dokumentierte er die Nachkriegszeit, den Mauerbau, die westdeutsche Arbeitswelt. Das Robert-Häusser-Archiv wird im Forum Internationale Photographie in den Reiss-Engelhorn-Museen verwaltet.

Neugierig geworden?

Mehr über Robert Häusser und sein Werk erfahren Sie auf den Seiten des Forums Internationale Photographie.