„Der Stein, der fließt“ – altägyptisches Glas und Fayence

2022 haben die Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Glases ausgerufen. Aus diesem Anlass laden wir Sie zu einer Reise ins alte Ägypten ein und werfen einen Blick auf die Verwendung von Glas und verwandten Materialien. Als eigenständiges Material war Glas im Land am Nil seit etwa 1500 v. Chr. bekannt und wurde altägyptisch als der „Stein, der fließt“ bezeichnet.

Ägypten ist eine der ersten antiken Kulturen, in der sich die Produktion von Glas als eigner Handwerkszweig etablierte. Wie genau die Herstellungstechnik ins Land kam, ist immer noch unklar, aber die Wissenschaft geht davon aus, dass sie über das heutige Palästina und Syrien nach Ägypten gelangte. Schon bald entwickelten die altägyptischen Handwerker großes Geschick in der Herstellung und Verarbeitung dieses kostbaren Materials.

Als Grundlage benötigte man Silicium (60 %), zerpulverten Wüstensand mit hohem Kalkgehalt (10 %) und Salz als Flussmittel. Die intensive Farbgebung entstand entweder durch Verunreinigungen im Sand oder durch gezielte Zugabe von Metalloxyden aus Kupfer, Mangan oder Blei. Aufgrund des Herstellungsverfahrens und der verfügbaren Hitze in den Brennöfen war noch kein durchsichtiges Glas möglich, sondern es hatte eine dichte Farbgebung in blau, grün, rot oder gelb. Da das Material schnell aushärtet, musste man es nach Entnahme aus dem Ofen schnell in die gewünschte Form bringen. Allerdings konnten Feinheiten insbesondere bei Einlagen auch im kalten Zustand nachgebessert werden.

Technischer Wandel

Gefäße, die bereits in der 18. Dynastie auftauchen, formte man um einen Kern aus Sand und Ton, der in mehreren Schritten von der Glasmasse ummantelt wurde. Insbesondere rotes Glas war technisch sehr schwer herzustellen und deshalb von besonders hohem Wert. Ohnehin galt Glas im Neuen Reich (ca. 1539–1088 v. Chr.) als absolutes Luxusprodukt, das teurer war als Schmucksteine oder Gold und keineswegs als billiger Ersatz für Lapislazuli, Jaspis oder Türkis diente. Seit der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. wurden Gläser auch so wie man das heute kennt geblasen. Aufgrund der erhöhten Produktion war diese Ware auch für etwas breitere Schichten erschwinglich. In der Römerzeit (1.–3. Jahrhundert n. Chr.) war auch durchsichtiges Glas als Material für Gefäße sowie Mosaikglas weit verbreitet. Beides bedingte andere Herstellungstechniken, die nun verfügbar waren. Auch Millefiore-Technik war in dieser Zeit beliebt. In diesem aufwendigen Verfahren werden verschiedenfarbige, dünne Glasstrenge zu einem Bild zusammengeschmolzen und dann in einzelne Plättchen geschnitten.

Ägyptische Fayencen

Dem Glas eng verwandt ist ägyptische Fayence. Diese sogenannte Quarz-Keramik war eine der beliebtesten Materialien der altägyptischen Kultur überhaupt und findet sich über Jahrtausende in unzähligen Objekten überliefert. Die Herstellung von ägyptischer Fayence war bereits in der Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. bekannt, wie einzelne Funde aus vordynastischen Gräbern bezeugen. Ab ca. 3000 v. Chr. avancierte Fayence zu dem mit Abstand beliebtesten Material für Perlenschmuck und Amulette, etwas später stellte man auch Gefäße oder kleinere Figurinen daraus her.

Blau- und Grüntöne sind aufgrund ihrer positiven Assoziation zu Wasser und Vegetation die am häufigsten verwendeten Farben, aber auch anderen Töne sind möglich. Die Beimischung von anderen Zusatzstoffen brachte auch gelbe, weiße, schwarze und rote Fayence hervor, die im Neuen Reich gerne für mehrfarbige Figuren eingesetzt wurde. Im Gegensatz zu Glas diente ägyptische Fayence in der Antike auch als günstigeres Ersatzmaterial für die teuren Schmucksteine Lapislazuli, Jaspis oder Türkis. Zur Herstellung von Amuletten oder kleinen Statuetten aus ägyptischer Fayence wurden üblicherweise Model verwendet, was eine Serienproduktion erlaubte. Zu den beliebtesten Formen zählten Udjat-Augen und Skarabäen. Aber auch kleine Götterfigurinen, die man als Glücksbringer um den Hals trug oder auf der Mumie befestigte, wurden auf diese Weise produziert.

Ägyptisch Blau und Grün

Ebenfalls eng mit Glas verwandte Materialen sind „Ägyptisch Blau“ und „Ägyptisch Grün“, die mindestens in die 4. Dynastie (ca. 2400 v. Chr.) zurückgehen. Sie sind leicht von Glas und Fayence zu unterscheiden, da sowohl die Oberfläche als auch das Innere ganz matt und nicht glänzend sind.

Der Name ist Programm, denn das körnige Material, das ebenfalls durch einen Brennvorgang entsteht, hat eine charakteristische blaue oder grüne Farbe. Was „Ägyptisch Blau“ anbelangt, gibt der antike Begriff Auskunft über die hohe Wertigkeit des Materials und auch seine Farbgebung. Das gleiche Wort (Hesbedj), das für den kostbaren Lapislazuli verwendet wurde, nutzte man auch für das künstlich hergestellte Material. Beide Substanzen, die grüne wie die blaue, sind sehr grobkörnig, daher nutzte man sie sehr selten für Objekte. Allerdings waren sie ausgesprochen wichtig für die Bemalung von Gräbern und Tempeln. Dort wurden zermahlenes „Ägyptisch Blau“ und Ägyptisch Grün“ als wichtigste Pigmente für grüne und blaue Motive verwendet.

Neugierig geworden?

2022 ist das Internationale Jahr des Glases. Im rem-Blog widmen sich mehrere Beiträge diesem außergewöhnlichen Material. Erfahren Sie z.B. mehr zu Glasperlen aus dem frühen Mittelalter.

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