
Die Restaurierung eines persönlichen Gemäldes
Anlässlich des Europäischen Tags der Restaurierung stellen wir Ihnen ein Gemälde vor, das seit vielen Jahrzehnten eine besondere Rolle im Leben der Autorin spielt und jetzt in der Sonderausstellung „AUFGETAUCHT!“ zu bewundern ist. Erfahren Sie mehr über das „Mädchen im Korsett“ von Philipp Klein und seine Restaurierung.

Entstanden im Jahr 1901, zeigt das Gemälde – ein Ölbild auf Leinwand – eine junge Frau beim Schnüren ihres Mieders. Das intime Bild hat seit der Kindheit eine anhaltende Faszination ausgeübt. Ausgehend von diesem Gemälde entwickelte sich eine kunsthistorische Recherche, die schließlich zur Wiederentdeckung des Künstlers Philipp Klein führte – und schlussendlich zur Ausstellung „AUFGETAUCHT!“, die noch bis 6. April 2026 in den Reiss-Engelhorn-Museen und anschließend im Landesmuseum Hannover gezeigt wird.
Vom Esszimmer auf den Dachboden
Das Gemälde hing viele Jahre im Esszimmer der Großeltern und war der Autorin daher schon seit ihrer Kindheit vertraut. Nach dem Tod des Großvaters wurde es auf dem Dachboden seines Ferienhauses wiederentdeckt – allerdings mit sichtbaren Schäden: Craquelée, Farbabplatzungen, Verschmutzungen.
Seitdem begleitet es sie durch verschiedene Lebensstationen – von Düsseldorf über Frankfurt bis in die Schweiz – und im Laufe der Jahre hat sich eine innige Beziehung zu diesem Bild entwickelt. In der Schweiz wurde es erstmals wieder eingerahmt: ein schützender Rahmen, der die beschädigten Kanten abdeckte und dem Bild zugleich eine neue Präsenz verlieh.
Ein Bild wird zur Forschungsfrage
Mit der Zeit wuchs das Interesse an der Herkunft des Gemäldes – zunächst aus privatem Antrieb, dann zunehmend mit wissenschaftlicher Genauigkeit. Die Signatur auf dem Bild bot den ersten Anhaltspunkt: Sie war lesbar, eindeutig und erlaubte es, das Werk einem heute weitgehend vergessenen Künstler zuzuordnen. Schon früh zeigte sich aber: Es handelte sich nicht um einen völlig Unbekannten. Werke des Malers Philipp Klein befinden sich in mehreren deutschen Museen und sein Name taucht auch in verschiedenen Künstlerlexika auf. Dennoch existierte kaum weiterführende Literatur – keine Publikationen, keine Monografien, keine systematische Aufarbeitung seines Werks.
Die Spurensuche führte durch alte Ausstellungskataloge, Zeitungsartikel und Archivmaterial – vieles davon in gedruckter alter deutscher Schrift. Die Auswertung und Transkription dieser Quellen wurde zu einer detektivischen Kleinarbeit, die über Jahre hinweg betrieben wurde. Das Ergebnis ist eine kunsthistorische Monografie mit Werkverzeichnis – und schließlich die Ausstellung, die das Schaffen des Malers Philipp Klein erstmals seit Jahrzehnten wieder in den musealen Kontext rückt.
Ein historisches Comeback in Mannheim
Im Rahmen der Ausstellung „AUFGETAUCHT!“ wird das Gemälde seit dem 21. September 2025 in Mannheim öffentlich präsentiert – und kehrt damit an einen Ort zurück, an dem es bereits vor mehr als einem Jahrhundert zu sehen war.
Im Jahr 1909 war das Werk Teil einer vom Mannheimer Kunstverein organisierten Nachlassausstellung – gezeigt im Mannheimer Schloss, einem eindrucksvollen historischen Ambiente. Der erhaltene Ausstellungskatalog verzeichnet insgesamt 66 Werke des Künstlers – darunter auch das heute wieder ausgestellte Gemälde, das bereits damals unter dem Titel „Mädchen im Korsett“ aufgeführt war. Eine mehrteilige Rezension im Mannheimer General-Anzeiger zeugt zudem vom großen öffentlichen Interesse.
Dass das Bild nun – über hundert Jahre später – erneut in der Geburtsstadt von Philipp Klein gezeigt wird, ist mehr als nur ein Wiedersehen: Es ist ein kunsthistorisch bedeutsames Comeback. Die Rückkehr ist nicht nur symbolisch, sondern Teil einer Ausstellung, die das Gesamtwerk des Malers erstmals seit Jahrzehnten wieder umfassend beleuchtet.
Technische Analyse – Blick unter die Oberfläche
Aufgrund des aktuellen Zustands musste das Gemälde aber noch konservatorisch behandelt werden: Trotz zwischenzeitlicher Rahmung befand es sich insgesamt in einem schlechten Erhaltungszustand. Es war über Jahrzehnte hinweg ungeschützt transportiert und gelagert worden – mit entsprechend sichtbaren Schäden. Ein weiterer Transport hätte das Werk zusätzlich gefährden können.
Für die Restaurierung fiel die Wahl auf ein erfahrenes Team: Thomas Becker und Silvia Balmer von Art Conservation in Küsnacht in der Schweiz. Ihre Arbeit zeichnet sich durch fachliche Präzision und einen hohen Respekt vor dem Original aus – und genau das war für dieses Stück entscheidend.
Vor Beginn der eigentlichen Arbeiten wurde das Gemälde deshalb einer kunsttechnologischen Analyse unterzogen. Verschiedene bildgebende Verfahren halfen dabei, Aufbau, Zustand und ursprüngliche Substanz präzise zu erfassen:
- Normallicht (VIS) in Auflicht und Streiflicht (VISRL) machten Risse, Schollenbildung und die Oberflächenstruktur sichtbar.
- Ultraviolett-Fluoreszenz (UVFFL2) zeigte Firnisschichten und Alterungsprozesse, bestätigte aber auch: Es hatte seit 1901 keinerlei Retuschen oder Eingriffe gegeben – das Werk war in seinem Originalzustand erhalten.
- Infrarot-Reflektographie (IRR) erlaubte einen Blick unter die Malschicht, brachte jedoch keine Hinweise auf Vorzeichnungen oder Übermalungen.



Das Schadensbild war dennoch deutlich: Die Farbschicht war in vielen Bereichen instabil, mit harten Schollen abstehend und mehreren kleinen bis mittleren Farbausbrüchen. Besonders betroffen war die Frisur der dargestellten jungen Frau – hier fehlten größere Farbpartien. Auch das Dekolleté zeigte altersbedingte Rissmuster und wirkte fast ein wenig knittrig. Natürlich ist sie eine Dame von 1901 – aber ein bisschen von ihrer früheren Schönheit sollte ihr für den großen Museumsauftritt schon erhalten bleiben.
Restaurierung – Sichern, Reinigen, Erneuern
Auf Grundlage der Analyse begann die eigentliche restauratorische Behandlung – mit dem Ziel, das Gemälde zu stabilisieren, Substanzverluste zu sichern und seine malerische Wirkung wieder zur Geltung zu bringen.
Zunächst wurde die lockere Farbschicht gefestigt, indem sie mit dem Malgrund wieder verbunden wurde. Aufstehende Farbschollen wurden mithilfe von partiellem Druck und gezielter Wärmezufuhr niedergelegt. Danach erfolgte die Reinigung der Oberfläche, die das Bild sichtbar klärte – glücklicherweise war es über die Jahrzehnte hinweg rauchfrei gelagert worden, was die Substanz geschont hat. Anschließend wurden Fehlstellen gekittet, die Kittungen strukturell angepasst und behutsam retuschiert. Auch die Rückseite der Leinwand wurde gereinigt, mit einem Rückseitenschutz versehen und der originale Keilrahmen stabilisiert und nachgekeilt. Damit ist das Werk nicht nur vorderseitig restauriert, sondern auch rückseitig konservatorisch gesichert.
Zum Abschluss wurde das Gemälde wieder eingerahmt – schützend und dem Charakter des Bildes entsprechend. Jetzt ist die junge Dame bereit für ihren Auftritt im Museum: frisch gewaschen, gepflegt, farblich aufgefrischt – und auch bestens frisiert. Ein stilvolles Comeback nach 120 Jahren.


Eine kleine Entdeckung mit großer Wirkung
Die wohl überraschendste Erkenntnis kam ganz am Ende des Restaurierungsprozesses – beim Abholen des fertigen Gemäldes. Im Bereich der Signatur, am unteren Rand des Bildes, hatte sich über Jahrzehnte hinweg eine stark vergraute Firnisschicht gelegt. Sie ließ die handschriftlich gesetzte Jahreszahl nur schwer lesbar erscheinen, sodass sie bislang immer als „1907“ interpretiert worden war.
Nach der Reinigung zeigte sich eindeutig: Das Gemälde ist auf 1901 datiert – und damit sechs Jahre älter als angenommen. Eine scheinbar kleine Differenz, die für die kunsthistorische Einordnung des Werks jedoch durchaus relevant ist – etwa im Zusammenhang mit Stilmerkmalen, Schaffensphasen oder Ausstellungskontexten.
Bemerkenswert: Die Signatur war der Ausgangspunkt der gesamten Forschungsarbeit – sie machte die Zuordnung zum Künstler überhaupt erst möglich. Dass sie nun, ganz zum Schluss, auch noch eine verborgene Information preisgab, war ein schöner Abschluss für einen langen Weg der Annäherung an ein einziges Bild.
Ein Tag für die stille Arbeit im Hintergrund
Der Europäische Tag der Restaurierung macht sichtbar, was sonst oft im Verborgenen bleibt: die stille, aber essenzielle Arbeit, ohne die viele Kunstwerke gar nicht mehr existieren würden. In diesem Fall war die Restaurierung nicht nur notwendig – sie war auch eine persönliche Bereicherung. Das Bild wirkt nun wieder klar und präsent, ohne den Charakter des Originals zu verlieren. Es wurde gesichert, behutsam aufgearbeitet – und kehrt jetzt, über ein Jahrhundert nach seiner ersten Präsentation, an den Ort seiner kunsthistorischen Vergangenheit zurück.
Vertrauen, Können – und ein großes Dankeschön
Die Restaurierung dieses Gemäldes war nicht nur eine technische Notwendigkeit, sondern auch ein Akt des Vertrauens. Wer ein solches Stück in fremde Hände gibt, muss sicher sein, dass es dort mit größter Sorgfalt behandelt wird. Thomas Becker und Silvia Balmer von Art Conservation in Küsnacht (Schweiz) haben genau das getan – mit fachlicher Präzision, Feingefühl und sichtbarem Respekt vor dem Werk. Ihnen gilt ein herzliches Dankeschön für diese herausragende Arbeit.
Denn so gut eine Restaurierung verlaufen kann, so unglücklich kann sie scheitern. Jeder kennt die Fälle missglückter Restaurierungen, die durch die Presse gehen – als kurioses Beispiel, oft Anlass zum Schmunzeln. Doch wenn es das eigene „Schätzchen“ betrifft, ist es alles andere als lustig.
Umso wichtiger ist es, qualifizierte Fachleute zu finden. Der Verband der Restauratoren (VDR) bietet dafür einen seriösen und kompetenten Einstieg. Auch persönliche Empfehlungen oder ein Blick auf bereits realisierte Arbeiten können hilfreich sein. Entscheidend ist, dass Vertrauen entsteht – denn nur so kann ein Kunstwerk seine Geschichte fortschreiben
Neugierig geworden?
Die Sonderausstellung „AUFGETAUCHT! Philipp Klein im Kreis der Impressionisten“ ist vom 21. September 2025 bis 6. April 2026 zu sehen.
Mehr zur Ausstellung
Europäischer Tag der Restaurierung: Immer am dritten Sonntag im Oktober gewähren Restauratorinnen und Restauratoren einen spannenden Einblick in ihre Arbeit. Mehr dazu finden Sie hier
Der nächste Tag der Restaurierung findet am 19. Oktober 2025 statt. Auch wir machen mit! Bei einer Spezial-Führung durch die Ausstellung „AUFGETAUCHT! “nehmen die beiden Restauratoren Melanie Siri Wiegand und Benjamin Kirschner gemeinsam mit Kurator Andreas Krock die impressionistischen Bilder genauer unter die Lupe.
Mehr zur Veranstaltung
Sie wollen mehr über die Arbeit von Restauratoren erfahren? Dann schauen Sie doch auch auf der Seite des Verbands der Restauratoren vorbei.
Lesetipp
Barbara Hofkamp: Philipp Klein. Der Impressionist aus Mannheim, Neulingen 2021