Ein Philosoph unter den Fotografen – Zum 100. Geburtstag von Robert Häusser

Der international renommierte Fotograf Robert Häusser wäre am 8. November 100 Jahre alt geworden. Er gilt als ein Philosoph unter den Fotografen und zugleich Wegbereiter der klassischen Moderne. Unbeirrt von Tagesmoden entwickelte er konsequent und kontinuierlich eine unverwechselbare Handschrift, die im Laufe der Jahre stilbildend für die deutsche Fotografie und nachfolgende Fotografen-Generationen wurde. Häusser wurde als erster Deutscher mit dem Hasselblad-Preis ausgezeichnet, der als Nobelpreis der Fotografie gilt. Seine eindrucksvollen Aufnahmen sind aktuell in der Sonderausstellung„SACHLICH NEU“ zu bewundern.

Für Robert Häusser (1924 – 2013) war die Fotografie ein künstlerisches Medium, bei dem Inhalt und Form sich wechselseitig bedingen. Bereits als 17- und 18jähriger schuf er in den Jahren 1941/42 eine Reihe von Bildern, die Höhepunkte der neueren Fotografie darstellen.Seine Bilder spekulieren nicht auf vordergründige Effekte und schnellen Konsum, sondern fordern vom Betrachter eine kontemplative Annäherung, um ihren existenziell-philosophischen Gehalt zu erschließen. In der bildnerischen Interpretation einer Situation werden in Häussers Arbeiten ein Mehr an Wirklichkeit und ein innerer Zustand sichtbar. Auf diese Weise hat der Künstler mit seinen Bildern oftmals später einsetzenden Kunstrichtungen vorgegriffen.

Melancholie und Einsamkeit

Seine ausschließlich schwarz-weißen Fotografien sind von strenger, oft symmetrischer Tektonik. Fast grafisch heben sich die Hell-Dunkel-Flächen voneinander ab und verdichten sich zu einem suggestiv-symbolischen Ausdruck. Seine Fotografien weisen durch ihre Statik und Aura eine deutliche Nähe zum „Magischen Realismus“ auf, so dass man Robert Häusser als Schöpfer einer Art „Fotografica Metafisica“ bezeichnen kann. Die Arbeiten Häussers sprechen oft von Melancholie, Einsamkeit und Vergänglichkeit. Wie das Bild „Peripherie“ von 1953, das ein einsames bereits verfallenes Bahnwärterhäuschen zeigt – umgeben von Schienen, die für Ankunft und Abfahrt, für Mobilität stehen und in dieser eingefrorenen Atmosphäre wie stillgelegt scheinen. Die Szene drückt den deprimierenden Zustand einer menschlich unwürdigen Behausung aus. Die alltägliche Vertrautheit ist abhandengekommen und das Dasein steht vereinzelt und einsam in diesem „Un-zuhause”, in dieser „Un-wirklichkeit“ da.

Das Trauma des Leidens seiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus findet in vielen Arbeiten von Robert Häusser einen bildnerischen Niederschlag. In präziser Schärfe und eisiger Nüchternheit hält er Empfindungen einer Generation und Epoche fest, die von Angst, Isolation, Entfremdung und Erstarrung geprägt sind.

Monumente als Chiffre des Todes

Wie zerstörte Mausoleen oder mythische Monumentalbauten stehen z.B. in der Normandie deutsche Bunker nicht weit vom Strand, wo die Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 stattfand. Durch nahes Herangehen und Betonung ihrer Untersicht wirken diese Schiffe und Festungsanlagen wie gestrandete, verendete Ungeheuer – wie im Bild „Omaha 94, X“ von 1994. Die Schießscharten und Belüftungsöffnungen, die Augen, Nasen und Mündern gleichen, bekommen tierähnliche Physiognomien.

Häussers Fotos vereinen Aspekte der „Neuen Sachlichkeit“, des „Magischen Realismus“ bis hin zur „Subjektiven Fotografie”.  Erst wenn die Dinge unsere Phantasie stimulieren und „hinter” den Dingen und Situationen ein geistiger oder philosophischer Hintergrund spürbar wird, so Häusser, erhalten die Gegenstände eine Seinsqualität, die uns magisch oder unheimlich erscheint.

Todesmetapher

Die Annäherung an den Gegenstand „von außen nach innen” ist ein Sehen hinter die Dinge, um neue Bedeutungsebenen zu erschließen. Als eine Todesmetapher kann zum Beispiel der verhüllte Rennwagen des Rennfahrers Jochen Rind gelten, der am 5. September 1970 beim Training in Monza ums Leben kam. Einem Epitaph gleich heißt der Titel des Bildes von Robert Häusser, das kurz vor der Todesfahrt entstand, „J. R. 5-9-70”. Das verhüllte Objekt wurde frontal und symmetrisch ins Bild gesetzt und steht wie ein Monument. Harte Schattenkonturen des Wagens zeichnen sich in einem leeren und undefinierbaren Raum ab. Das Fahrzeug wird zu einem „Memento mori“, da seine technische Leistungsfähigkeit in Fortbewegung und Geschwindigkeit stillgelegt und sein Rumpf wie in ein Leichentuch gehüllt erscheint. Die pathetische Verherrlichung des Maschinenzeitalters, des Dynamismus und technischen Fortschritts durch die Futuristen, nach deren Motto ein Rennwagen viel schöner sei als die Nike von Samothrake, erfährt hier eine brutale Ernüchterung. Die Hybris des Menschen, auferlegten Gesetze durchbrechen zu wollen, wird durch den Tod zunichtegemacht. Der Rennwagen, der zum Werkzeug einer Todesfahrt wurde, wirkt selbst wie ein Leichnam, abgestellt in einem Nirgendwo.

Der Mensch als Ding

Das Bild „Verbindung” von 1975 zeigt zwei Köpfe von Schaufensterpuppen im Halbdunkel, die um den Hals mit einem Draht „verbunden” sind. Die Wirkung einer merkwürdigen Ambivalenz von Person und Automat stellt sich hier ein. Wäre der Draht nicht, könnte man an Personen denken, die mit ihren kahlgeschorenen Köpfen Skinheads assoziieren lassen, wie auch Opfer, denen man Nummern – wie die erkennbare Ziffer auf dem Kopf der vorderen Puppe – in die Haut eingebrannt hat.

Ehrungen und Ausstellungen

Robert Häussers Werk wurde mit vielen Ehrungen ausgezeichnet. 1995 erhielt er den Internationalen Preis für Fotografie der in Schweden ansässigen Erna and Viktor Hasselblad-Foundation. Diese Auszeichnung, die unabhängig vom Kamerafabrikat vergeben wird, ist nicht nur der höchst dotierte Preis für Fotografie, sondern gilt unter Experten gleichsam als deren Nobelpreis.

Sein gesamter fotografischer Nachlass wie auch sein komplettes Archiv befinden sich seit 2002 in den Reiss-Engelhorn-Museen und werden dort vom Forum Internationale Photographie (FIP) verwaltet.

Bilder von Robert Häusser wurden bisher in über 130 Einzelausstellungen in Museen und Galerien im In- und Ausland gezeigt. Noch bis 27. April 2025 sind ausgewählte Arbeiten in den Reiss-Engelhorn-Museen in der Sonderausstellung „SACHLICH NEU“ zu sehen. Hier treten sie in einen spannenden Dialog mit Ikonen der 1920/30er-Jahre von August Sander und Albert Renger-Patzsch, zwei Pionieren der „Neuen Sachlichkeit“ in der Fotografie.

Neugierig geworden?

Mit der Sonderausstellung „SACHLICH NEU“ feiern wir zwei große Jubiläen: „100 Jahre Neue Sachlichkeit“ und den 100. Geburtstag von Robert Häusser. Erstmals kommt es zum Gipfeltreffen der Ausnahmefotografen August Sander, Albert Renger-Patzsch und Robert Häusser. Die Schau ist noch bis 27. April 2025 zu sehen.
Mehr zur Ausstellung

Am 10. November 2024 lädt Claude W. Sui um 14 Uhr zu einem besonderen Rundgang durch die Schau ein. Er erzählt die Geschichten hinter ausgewählten Werken des Geburtstagskindes. Raimund Gründler von der Mannheimer Literaturinitiative LeseZeichen liest dazu passende Texte.
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Mehr über Robert Häusser und sein Werk erfahren Sie auf den Seiten des Forums Internationale Photographie.