Filmische Rekonstruktionen – Fiktion und Wirklichkeit
Die Sonderausstellung „Die Normannen" vereint nicht nur rund 300 hochkarätige Exponate, sondern punktet auch mit aufwendig produzierten filmischen Rekonstruktionen. Auf diese Weise werden die Besucherinnen und Besucher Zeugen von einschneidenden Ereignissen der normannischen Geschichte: der berühmten Schlacht bei Hastings und der Eroberung Antiochias. Aber wie entstehen solche Rekonstruktionen längst vergangener Orte und Ereignisse? Was ist Fiktion, was Wirklichkeit?
Es ist die Nacht des 2. Juni 1098. Alles scheint zu schlafen – bis auf ein paar normannische Kreuzfahrer. Unter ihnen ist Bohemund und sie erklimmen in einer dunklen Ecke die als uneinnehmbar geltende Stadtmauer von Antiochia. Nächste Szene: das schwere Falltor wird von innen geöffnet und hunderte Krieger stürmen in die Stadt und verteilen sich in den engen Gassen des mittelalterlichen Antiochias.
Was unter anderem im letzten Themenraum der kulturhistorischen Sonderausstellung „Die Normannen“ den Besucherinnen und Besuchern kurzweilig die Eroberung Antiochias durch das Kreuzfahrerheer unter maßgeblicher Beteiligung des Normannen Bohemunds vermitteln will, wurde vom kuratorischen Projektteam in Zusammenarbeit mit dem in Darmstadt ansässigen Unternehmen „Faber Courtial - studio for digital worlds“ in den vergangenen drei Jahren geplant, diskutiert, programmiert, rekonstruiert und schließlich sehr stimmungsvoll in Szene gesetzt.
Vergangene Orte und Ereignisse werden zum Leben erweckt
Doch wie entstehen solche filmischen Rekonstruktionen längst vergangener Orte und Ereignisse? Welche Fragestellungen trieben das Kuratorinnen-Team und die Mediengestalter um und welche Hürden waren zu nehmen?
Nach der Entscheidung, wo in der späteren Ausstellung ausgewählte historische Ereignisse anhand filmischer Rekonstruktionen vermittelt werden sollen, wurde gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Faber Courtial ein entsprechendes Storyboard entworfen. Die zu erzählende, schriftquellenbasierte Geschichte wurde in erste Szenenvorschläge umgesetzt und es entstand ein visueller Entwurf. Dieser diente anschließend als Grundlage für die filmische Rekonstruktion.
Für die Normannen-Ausstellung wurden zwei große filmische Rekonstruktionen realisiert: Die Schlacht bei Hastings, in der Wilhelm „der Bastard“ 1066 Harold Godwinson besiegte und die in das Kapitel zur normannischen Eroberung Englands eingebettet ist, und die Eroberung Antiochias während des Ersten Kreuzzuges 1097-1098.
Rekonstruktion der mittelalterlichen Stadt Antiochia
Bei der Umsetzung der Eroberung von Antiochia bestand eine Hauptaufgabe zunächst darin, die mittelalterliche Stadt am Orontes zu rekonstruieren. Dies war keine leichtes Unterfangen, da die Stadt heute komplett durch das moderne Antakya (heutige Türkei) überbaut und nur partiell durch archäologische Untersuchungen sowie durch historische Überlieferungen greifbar ist. Daher wurden verschiedene Pläne der Stadt, die aus den historischen und archäologischen Wissenschaften vorlagen, miteinander verglichen und diskutiert. Auf dieser Grundlage wurde ein erster Plan der Stadttopographie angelegt.
Da weder die Stadtmauer erhalten, noch Genaueres über die Binnenbebauung der Stadt im ausgehenden 12. Jahrhundert archäologisch nachgewiesen ist, wurden Vergleichsbauten bzw. Städte aus ähnlichem zeitlichen und kulturellen Kontext herangezogen. So stand z.B. für die Stadtmauer Antiochias die sogenannte Landmauer von Konstantinopel – heute Istanbul – Pate. Auch romantisierende Kupferstiche von Orientreisenden aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gaben Hinweise zum möglichen Aussehen der Mauern und ihrer Struktur. Denn zu dieser Zeit waren zumindest noch Teile der alten Stadtmauer als Ruinen vorhanden.
Zu guter Letzt nutze man natürlich den Umstand aus, dass wir entscheiden konnten, aus welcher Perspektive die Kamera die Stadtrekonstruktion einfängt und somit auch, was die Besucherinnen und Besucher schlussendlich sehen werden.
In einem nächsten Schritt wurde ein Geländemodell samt 3D-Stadtarchitektur erstellt, das als Grundlage für die weitere Texturierung der Strukturen inkl. Farbgebung und Feinmodellierung kameranaher Bereiche dienen sollte. Dieses wurde schrittweise feiner ausgestaltet. Dabei wurden die grob angelegten Mauerzüge mit Mauerwerktexturen – also der entsprechenden Optik – versehen. Diese orientierten sich selbstverständlich ebenfalls an zeitlich und topographisch passenden und heute noch vorhandenen Vergleichsbauwerken. Nach einer ersten Zwischenabnahme durch das kuratorische Team wurden dann nach und nach die Lücken geschlossen und das „Bühnenbild“ weiter ausstaffiert. Ganz nach orientalischen Vorbildern verhängten nun Tücher die Arkaden, Marktstände wurden zwischen den Säulen platziert und die ein oder andere portable Konstruktion bzw. Barrikade wurde errichtet.
Aufnahmen im Studio
Parallel dazu wurden im Studio verschiedene real-life-Szenen mit echten Schauspielern und Reenactment-Darstellern abgedreht. Dies erfolgte hauptsächlich vor einem sogenannten greenscreen, um anschließend aufwendig in die digitale Rekonstruktion eingefügt zu werden: So zum Beispiel die Szene, in der der Normanne Bohemund den Kommandanten der Wache Firouz besticht und so die Wendung in der Belagerung herbeiführt!
Der Film ist fertig
Eine stimmungsvolle Atmosphäre, sowie das Spiel von Licht und Schatten und der Wechsel von Tag zu Nacht zur Versinnbildlichung von verstreichender Zeit wurden in der Postproduktion hinzugefügt. Auch das Flackern einiger lodernder Stadtbrände und dicker Rauch, der über der eroberten Stadt aufsteigt und so das ein oder andere nicht sicher rekonstruierbare Gebäude gekonnt verdeckt, wurden ergänzt.
Neugierig geworden?
Die Sonderausstellung „Die Normannen“ ist noch bis 26.2.2023 zu sehen. Erfahren Sie mehr: www.normannen-ausstellung.de
Im Trailer zur Ausstellung bekommen Sie einen Vorgeschmack auf die filmischen Rekonstruktionen. Zum Trailer
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Erfahren Sie mehr über die Arbeit der Experten für filmische Rekonstruktionen Faber Courtial.