
Forschung im Museum: Tauschiertes Ornament aus dem 6./7. Jahrhundert
In den Depots der archäologischen Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen lagert eine Fülle von Objekten, die durch Ausgrabungen vor der Zerstörung gerettet wurden. Zahlreiche mit Gips ummantelte Erdblöcke stammen noch aus dem großen Gräberfeld auf dem Hermsheimer Bösfeld, das vor über 20 Jahren beim Bau der SAP-Arena ausgegraben wurde. Darin verbergen sich eiserne Waffen und Riemengarnituren, aber auch Schmuck aus Glas, Bunt- und Edelmetall. Der erforderliche restauratorische Aufwand für eine Präsentation in den Vitrinen der Archäologischen Sammlungen ist jedoch nicht mehr finanzierbar. Durch Röntgenaufnahmen sind die Grabfunde dennoch als archäologische Quelle zu nutzen. Zudem restaurierten Praktikant:innen einzelne Stücke im Rahmen ihrer Ausbildung.

Wehrgehänge aus Mannheim-Seckenheim, Hermsheimer Bösfeld Grab 646
Im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts war ein Hermsheimer Reiter im Bösfeld Grab 646 samt Pferdegeschirr und Waffen beigesetzt worden. Als Restaurator Peter Will zusammen mit der Pratikantin Sandra Voss 2021 das Schwert in eine neue Gipsschale umbetteten, fielen die dabei liegenden Beschläge von einem mehrteiligen Tragegurt auf.
Die eisernen Beschläge zeigen Einlagen aus Silber und Messingdrähten. Ähnlich tauschierte Garnituren sind bekannt unter der Bezeichnung Typ Civezzano. Um die Frage nach der Herkunft des Hermsheimer Wehrgehänges zu beantworten, wurde es u.a. mit Garnituren aus 108 Gräbern nördlich und 12 Gräbern südlich der Alpen verglichen.

Beschläge mit tauschiertem Ornament
Im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts kamen an Männergürteln und Wehrgehängen Eisenbeschläge in Mode. Von besonderer Qualität waren die Beschläge mit Tauschierung, d.h. mit Einlagen aus Silber- und Messing. Das zu tauschierende Muster für alle neun Beschläge des Wehrgehänges Typ Civezzano wurde im langobardischen Italien entworfen. Fünf Teile erhielten Tierornament, vier Teile geometrisches Muster.
Dem ersten Entwurf folgten Kopien und diesen weitere. Das Ornament veränderte sich langsam. So mancher Handwerker hatte es auch nicht verstanden. Doch hielten sie sich immer an die einmal vorgegebene Ordnung. Das für diese Wehrgehänge charakteristische Tierornament wurde für keine andere Garniturengruppe übernommen. Nicht zusammen mit Trachtzubehör wurden sie produziert, eher sind sie im Umkreis von Waffenschmieden entstanden. Wie einen orientalischen Basar müssen wir uns die Arbeitsplätze vorstellen. Dort produzierten viele Schmiede nebeneinander die neun Beschläge, die erst ein Gürtler zu einer Garnitur zusammenfügte.

Tiere im germanischen Stil II
Der schwedische Archäologe Bernhard Salin (1861-1931) hat in seiner grundlegenden Arbeit über die germanische Tierornamentik drei Stile unterschieden. Stil I hat sich im 5. Jahrhundert in Skandinavien entwickelt und ist mit der nordischen Götterwelt zu verbinden. Der sogenannte Stil II ist eine Neuschöpfung. Er tritt erstmals nach der Mitte des 6. Jahrhunderts in Erscheinung, zum Beispiel im Grab der 570 n. Chr. verstorbenen fränkischen Königin Arnegunde. Stil II fand im fränkischen Merowingerreich, das seit der Taufe König Chlodwigs I. 496 n. Chr. ein christliches war, ebenso wie im Reich der 568 nach Italien gezogenen Langobarden vielseitige Verwendung – auf Schmuck, Gürtelbeschlägen und auch auf liturgischem Gerät.
Die im Profil gezeichneten Tiere im Stil II sind auf wenige Elemente reduziert: auf einen Leib aus einem verflochtenen Band, dem ein Kopf mit Auge und Kiefern sowie ein Schenkel mit Krallen zugefügt sind. Hinweise auf die Tiergattung geben die Köpfe: Zu unterscheiden sind geöffnete Kiefer, Kiefer mit überstehendem Eberhauer, mit eingerolltem Unterkiefer oder mit überbeißendem Oberkiefer.
Kommunikation im frühen Mittelalter
In der ländlichen Hofgesellschaft an Oberrhein und Neckar war die Verwendung von Schrift nicht üblich. Runen fanden sich bisher nur auf einer Amulettkapsel in Bösfeld Grab 938. Diese ist in der Ausstellung „Versunkene Geschichte“ im Museum Weltkulturen D5 ausgestellt. Andererseits zeigen zahlreiche in den Gräbern erhaltene metallene Schmuckstücke und Riemenbeschläge ein Ornament mit Tieren im germanischen Stil II. Doch diese zu lesen und zu verstehen, bereitet uns heute einige Mühe.
Zentral wurde auf fünf Beschlägen des Wehrgehänges stets das Tier mit dem überbeißenden Oberkiefer dargestellt. Der Raubvogel bzw. der Adler war in der Antike das Sinnbild des Herrschers, des Königs und dann von Christus. Folglich sollte der mit dem Schwert bewaffnete Reiter unter dessen Schutz stehen.
Ein langobardischer Waffengurt für den fränkischen Reiter
Die in Grab 646 vom Hermsheimer Bösfeld gefundene Garnitur lässt sich einem frühen Stadium in der typologisch erkennbaren Reihenfolge der langobardischen Riemengarnituren zuordnen. In der Zeit um 600 gelangte sie über die Alpen ins Reich der Franken. Es gab einen regen Fernhandel über die Alpen. Möglicherweise war sie Teil von Tributzahlungen, die die Langobarden dem Frankenkönig bis ins Jahr 618 schuldeten. Und der Langobardenkönig zahlte mit dem, was er zuvor als Steuern von den italischen Städten bezogen hatte, darunter auch Waffen und Waffengürtel.
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Funde aus dem frühmittelalterlichen Gräberfeld auf dem Hermsheimer Bösfeld in Mannheim-Seckenheim finden Sie in der Ausstellung Versunkene Geschichte.
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Lesetipps
- Bernhard Salin: Die altgermanische Thierornamentik (Stockholm 1904, Neue Auflage 1935)
- Egon Wamers: Salins Stil II auf christlichen Gegenständen. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 36, 2008, 33-72
- Druck noch in Vorbereitung: Ursula Koch: Wehrgehänge aus dem langobardischen Italien. Analyse der Ornamentik auf Spathagurtgarnituren vom Typ Civezzano. Fundberichte Baden-Württemberg