Gläserne Trinkgeschichten – sprichwörtlich betrachtet

„Heute schon gezwitschert“ oder einen „gepfiffen“, „Gänsewein getrunken“ oder „vor dem Heidelberger Fasse gekniet“? Beim geselligen Beisammensein spielt neben der Unterhaltung und dem Essen auch das Trinken seit jeher eine wichtige Rolle. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich im Laufe der Menschheitsgeschichte unzählige Redensarten dazu etabliert haben.

Das Lexikon der Sprichwörtlichen Redensarten von 1973 besteht aus über 15.000 Stichwörtern. Wenn man sich hier nach Redensarten und Umschreibungen für das Trinken umsieht, wird man schnell fündig – vor allem wenn es um alkoholische Getränke geht. Egal ob die aktive Flüssigkeitsaufnahme, betrunken sein oder die Nachwirkungen dessen. Viele dieser Redewendungen lassen sich entweder von Anekdoten, literarischen Werken oder historischen Begebenheiten herleiten.

So bedeutet dort „Zwitschern“ unter anderem ein Gläschen trinken – je nach Anzahl wird damit die fröhliche Laune des Trinkenden beschrieben, die einem zwitschernden Vogel wohl nicht ganz unähnlich ist. Während „Gänsewein trinken“ eine scherzhafte Umschreibung für das Trinken von (Trink-)Wasser aus dem „Podagrammisch Trostbüchlein“ (1577) des Dichters und Schriftstellers Johann Fischart stammt, meint die Ausdrucksweise „Vor dem Heidelberger Fasse knien“ etwas ganz anderes. Hiermit soll ausgedrückt werden, dass es keinen höheren Genuss als den Wein gibt. Das Heidelberger Fass mit seinem Fassungsvolumen von 220.000 Litern ist demnach die physische Vergötterung dessen.

Redewendungen mit Glas

Neben den zahlreichen Umschreibungen der Praktik „Trinken“ findet sich auch häufig das dazu verwendete Trinkgefäß – das Glas. So ist das bekannte „Tief ins Glas geguckt haben“ deutungsgleich mit „Ein Glas zu viel haben“ oder „Die Nase im Glas haben“. Alles Umschreibungen für übermäßigen Alkoholkonsum, der sich an der Anzahl der getrunkenen Gefäßeinheiten abzählen lässt oder eben nach dem Strich. Hatte man „einen Strich zu viel“ bedeutete dies gemäß Lexikon: „(…), sich wie ein Betrunkener verhalten. Wahrscheinl.[ich] besteht bei dieser Rda.[Redensart] ein Zusammenhang mit dem Trinken aus Maßkrügen und großen Gläsern, deren Inhalt nach den auf ihnen angebrachten Strichen gemessen wurde. Hatte man einen Strich zu viel getrunken, konnte das bereits sichtbare Folgen haben.“

Das Trinklied von Uhland „Wir sind nicht mehr am ersten Glas“ von 1821 zeugt zudem von der nicht Unerheblichkeit des Trinkgefäßes. Auch in einem Trinklied von Heinrich Hoffmann v. Fallersleben aus dem Jahr 1829 heißt es: „Das Glas in der Rechten, die Flasch‘ in der Linken“.

Die Wendung „Einen pfeifen“ steht ebenfalls im direkten Zusammenhang mit dem Trinkgefäß. Im Lexikon steht unter anderem folgende Erklärung dazu: „Einen Branntwein trinken. Wndg [Wendung] aus den niederen gesell. Kreisen, stammt von dem alten Brauch am Rande der Flasche mit dem Mund einen Pfeifton zu erzeugen, bevor man trinkt. Hatte auch den Zweck, wenn Flasche aus undurchsichtigen Material bestand, konnte aus der Höhe des Pfeiftons ermittelt werden wie viel Getränk noch in der Flasche ist.“ Daraus folgt, dass Materialität und die damit einhergehende Interaktion nicht nur zu (unreflektierten) Praktiken führt – in Bezug auf deren ursprüngliche Funktion, sondern auch verbalisiert in Redewendungen umgedeutet werden kann.

Umgekehrt können diese Praktiken auch soziale Beziehungen der Trinkenden untereinander aufzeigen. „Minne trinken“ stammt aus dem Mittelalter und zeigt das Verbunden sein durch gemeinsames Trinken auf, ebenso „Mit jemanden aus einem Glas trinken“ verweist auf ein enges Vertrauensverhältnis der Trinkpartner.

Historische Zeugnisse

Redewendungen sind in der Regel immer im Kontext ihres Entstehens, vor allem dem zeitlichen und kulturgeschichtlichen Hintergrund zu betrachten und zu deuten. So wie die Sprache sich stetig wandelt und auch die Alltagsphänomene, kann es vorkommen, dass manche Redewendungen oder Praktiken mit der Zeit überholt sind oder nur für eine gewisse Generation zweifelsfrei noch bekannt sind. So mag „Voll wie ein Eimer“ zum einen beschreiben, dass die betrunkene Person gemäß dem bildlichen Vergleich mit einem Eimer sehr betrunken ist – auf der anderen Seite bezieht sich dies auf ein früheres Hohlmaß.

Ein weiteres populärkulturelles Beispiel, dass zeitlich gesehen noch nicht sehr alt ist und Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat ist: „Ich trinke Jägermeister, weil…“ das Lexikon nennt über 3000 Varianten an Nebensätzen zu der Bewerbung des Kräuterlikörs, die nicht zwingend logisch erscheinen (müssen). Spätestens seit 2018 ist die Redewendung „Weiße Mäuse sehen“ um ein Deutungsbeispiel ärmer geworden. So bezog sich diese Bezeichnung auf die Verkehrspolizisten, die gemäß der alten Polizeiuniform weiße Mützen trugen und die man nach dem Alkoholgenuss am Steuer eher ungern antreffen wollte. Nach wie vor gelten weiße Mäuse als rar und dem Anblick muss wohl eine Sinnestäuschung vorangegangen sein.

Ein anderes Beispiel, dass weniger mit Alkoholmissbrauch im Zusammenhang steht, ist eine Todesstrafe aus dem antiken Athen. Dort wurde dem Verurteilten ein mit Schierling – einer sehr giftigen Pflanze – versetztes Getränk gereicht. „Jemanden den Schierlingsbecher reichen“ bedeutete also ein Todesurteil.

Neugierig geworden?

Das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten wurde 1973 von dem Germanisten und Volkskundler Lutz Röhrich herausgegeben. Es erfuhr zahlreiche Neuauflagen. In diesem nach Stichworten geordneten Nachschlagewerk finden sich neben kurzen Erläuterungen und Varianten auch schriftliche und bildliche Belege zu den dort vorgestellten Redewendungen.

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In einem Video gewährt Kuratorin Eva-Maria Günther einen Einblick in die Schau „Zum Wohl!“.

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Glas ist ein überaus facettenreiches Material. Erfahren Sie in unserer Blog-Reihe mehr über die Verwendung von Glas in verschiedenen Epochen.