Mumifizierte menschliche Köpfe der Māori

Der Umgang mit menschlichen Überresten in musealen Sammlungen kann emotional besonders berühren. Umso mehr, wenn diese eine außergewöhnliche Geschichte haben und für die heute lebenden Mitglieder ihrer Herkunftsgesellschaft wichtiger Teil der Erinnerungskultur sind. Dies trifft zweifellos auf die mumifizierten tätowierten Köpfe dreier Māori zu, die an den Reiss-Engelhorn-Museen verwahrt werden. Erfahren Sie mehr über ihre kulturelle Bedeutung und Herkunft.

Die kulturelle Bedeutung der Köpfe

Das Aufbringen großflächiger Tätowierungen im Gesicht mit spiralförmigen Ornamenten sowie strahlen- und schlangenförmigen Linien hat eine lange Tradition bei den Māori. Während sich die Verzierungen bei Männern meist über das gesamte Gesicht erstrecken, wird bei Frauen nur der Bereich um die Lippen und das Kinn verziert. Tätowierte mumifizierte Köpfe werden in der indigenen Sprache der Māori toi moko oder mokomokai genannt. Sie wurden schon vor der Ankunft erster europäischer Reisender in Neuseeland durch aufwendige Räucherungsprozesse hergestellt. Das Bewahren von toi moko diente einerseits der Ahnenverehrung geschätzter Familienangehöriger und Stammesführer. Die Köpfe konnten aber auch Trophäen getöteter Feinde sein. In jedem Fall spielten sie eine wichtige Rolle in der spirituellen Welt der Māori.

Mit dem zunehmenden Kontakt europäischer Seeleute, Händler und Reisender mit der indigenen Bevölkerung im späten 18. und 19. Jahrhunderts stieg das Interesse an toi moko in Europa an. Zwischen 1769 und den 1830iger Jahren wurden die Köpfe zur begehrten Handelsware. Sie wurden teilweise gestohlen oder bei gewalttätigen Auseinandersetzungen geraubt. 1831 wurde die Ausfuhr gesetzlich verboten. Jedoch führte das anhaltende internationale Interesse dazu, dass auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts toi moko gehandelt wurden und in museale Sammlungen eingingen.

Toi moko an den Reiss-Engelhorn-Museen

In den ethnologischen Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen werden drei toi moko von  erwachsenen Männern verwahrt. Untersuchungen ergaben, dass zwei der Ahnenköpfe auf traditionelle Weise in Neuseeland hergestellt worden sind. Während zu einem der Köpfe keine Informationen über Weg und Zeitpunkt des Eingangs in die Museumssammlung gefunden wurden, ergaben die Recherchen, dass der zweite im Rahmen des staatlich angeordneten, badischen Sammlungsringtauschs aus dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe im Jahr 1935 ans Haus kam. Nach Karlsruhe gelangte er 1927 über den Händler Arthur Speyer aus Berlin. Ab den späten 1880er Jahren tauschte und erwarb die bekannte Sammler- und Händlerfamilie Speyer Ethnographica und bot sie unter anderem Museen zum Kauf an.

Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1825 lässt vermuten, dass es sich bei dem dritten toi moko um die Überreste eines Mannes handeln könnte, der Mitte der 1820er Jahre von Kororāreka (heute Russel) in Neuseeland nach Großbritannien reiste. Dort schloss er sich der Jahrmarktschau des amerikanischen Kapitäns und Schaustellers Samuel Hadlock an und verstarb angeblich 1824 in Leeds. Nachdem Hadlock den Kopf des Mannes wohl in England von einem Tierpräparator präparieren ließ, zeigte er ihn, aufgebracht auf einem Abguss des Körpers mit traditioneller Kleidung, weiterhin auf seiner Ausstellungstour durch Europa.

Nach dem Ende der Tour 1826 schenkte er ihn als Bestandteil seiner Sammlung von Naturalien und Ethnographica dem preußischen König Friedrich Wilhelm III in Berlin. Dieser führte das Konvolut dem ethnographischen Kabinett der Königlichen Kunstkammer im Berliner Schloss zu, von wo es später in die Sammlung des Museums für Völkerkunde (heute Ethnologisches Museum) einging. 1939 wurde der toi moko scheinbar an den Händler Arthur Speyer abgegeben. Zu Umständen und Zeitpunkt der Zuführung in den Sammlungsbestand der rem fanden sich keine Hinweise in den Archivalien.

Die Rückführung der Köpfe nach Neuseeland

Die Bemühungen Neuseelands um Rückführung menschlicher Überreste aus Museen weltweit reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Damals fanden erste Repatriierungen von toi moko aus Österreich, Großbritannien, Tasmanien und den USA statt. Seit 1991 werden auch aus musealen und universitären Sammlungen in Deutschland toi moko zurückgegeben.

Im Dezember 2022 stellten Repräsentanten des Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa in Wellington bei der Stadt Mannheim ein offizielles Gesuch um Rückgabe der toi moko aus den Sammlungen der rem. Im neuseeländischen Nationalmuseum ist seit 2003 das Karanga Aotearoa Repatriation Programm beheimatet. Dieses ist von der neuseeländischen Regierung sowie den Māori- und Moriori-Gemeinschaften beauftragt, Kontakt mit Museen und Sammlungen in Europa aufzunehmen, um die sterblichen Überreste der Vorfahren zurück zu holen. Nach den Glaubensvorstellungen ist mit ihrer Rückkehr der Gedanke verbunden, dass die Verstorbenen und ihre Nachfahren ihre Würde zurückerhalten. Im April 2023 stimmte der Gemeinderat der Stadt Mannheim der Repatriierung der toi moko in ihre neuseeländische Heimat zu. Ende Mai 2023 findet die feierliche Übergabe statt.

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