Vom Schiff gefallen
Ein antikes Relieffragment aus dem Mannheimer Hafen gibt bis heute Rätsel auf. Gefunden wurde es 1868 bei Baggerarbeiten für den Neckar-Durchstich durch die Bonadies-Insel. Aber wie gelangte das im späten 3. oder frühen 4. Jahrhundert n. Chr. in Rom entstandene Objekt an seinen Fundort?
Die Fundumstände
Die Bauarbeiten an der Bonadies-Insel gehörten zu den damals seit längerem durchgeführten Maßnahmen zur Regulierung von Rhein und Neckar. Gemäß einer Absprache von 1825 zwischen dem Königreich Bayern und dem Großherzogtum Baden sollte der Rhein begradigt werden, um die alljährlichen, verheerenden Hochwasserschäden zu verringern. Dazu entstand bis 1826 bei Friesenheim ein 1.500 Fuß (ca. 450 m) langer und geradliniger Durchstich, der die Fluten zügig ableiten und den Rhein an der Neckarmündung entlasten sollte. Damit ging die Abkürzung des Stromlaufs einher.
Der gewünschte Zweck war jedoch noch nicht erfüllt, daher wurden ab 1840 weitere, erst 1862 abgeschlossene Maßnahmen notwendig. Danach konnten der neue Flusslauf für Tal- und Bergschifffahrt genutzt und die vom Durchstich abgeschnittene Rheinkrümmung zum Alt-Rhein erklärt werden.
Die Verlegung des Rheinlaufs erforderte aber auch eine Regulierung der Neckarmündung, sonst wäre der Neckar über den Altrhein und somit erst bei Sandhofen in den Rhein geflossen. Man begann daher den Durchstich durch die Bonadies-Insel und konnte die Arbeiten 1869 nach 17 Monaten vollenden.
Das Relief – Eroten bei der Jagd
Das qualitätvolle Marmorfragment (22,3 cm hoch, 34,2 cm breit und 5,2 cm tief) gehörte ursprünglich zum Deckel eines kastenförmigen Sarkophages und zeigt zwei Knaben bei der Jagd. Der sich nach links Bewegende trägt über den Schultern ein Mäntelchen, sonst ist er nackt. Mit beiden Händen hält er einen Speer, den er in einen heranstürmenden Hirsch stößt. Darunter erkennt man einen nach links laufenden Bären. Unterhalb seines Kopfes ist noch die Vorderpfote des ihn angreifenden Hundes erhalten. Der zweite nackte Knabe bewegt sich nach rechts und hält in seiner Rechten vermutlich das Ende eines Jagdnetzes.
Für die vielfach in der antiken Kunst vorkommenden Knaben im Alter von etwa vier bis 14 Jahren hat sich die Bezeichnung Eroten durchgesetzt, während die als Kleinkinder gestalteten Figuren auch Putto bzw. Putten genannt werden. Beide Typen sind in der römischen Kunst allgegenwärtig und bringen unter anderem als Symbol der Glückseligkeit oder der Fruchtbarkeit einen heiteren, unbeschwerten Aspekt in die Bilder. Das Motiv des Eros – zumeist mit Flügeln – tritt in Griechenland seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. auf, in Gestalt eines schönen Jünglings. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. werden Eroten zunehmend wie Kleinkinder dargestellt, und in römischer Zeit sind sie meist stämmig, mit rundlichen Körperformen. Auf unserem Fragment erscheinen sie hingegen vergleichsweise schlank und als ältere Kinder.
In der Bildkunst üben Eroten die unterschiedlichsten Tätigkeiten aus, die sie von den Erwachsenen übernehmen bzw. nachahmen. So finden wir sie tanzend und musizierend im Gefolge des Bacchus, beim Ausüben von allerlei Berufen, bei Wettkämpfen und Spielen, bei der Weinlese, beim Fischen und Jagen. Die Darstellung des letztgenannten Themas macht aus dem riskanten Unternehmen ein Spiel, bei dem die Eroten häufig kindlich unbefangen den gefährlichen Tieren gegenübertreten.
Wegen der weiten Verbreitung von Eroten und Putten verwundert es nicht, ihnen auch auf Sarkophagen zu begegnen. Dort konnten sie ein heiteres Element vermitteln, auch die Freude der Eltern, die sie an ihren verstorbenen Kindern hatten. Die Deutung der Bilder auf Sarkophagen bleibt jedoch im Allgemeinen meist unbefriedigend, da wir zu wenig über die antiken Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und vom Jenseits wissen.
In der Forschung herrscht die Vermutung vor, dass Jagddarstellungen die virtus, die Tapferkeit und militärische Tüchtigkeit, der Verstorbenen symbolisieren. Dahinter stehe die Überzeugung, dass wer im Kampf des Lebens siegreich bleibe, den erwarte die Unsterblichkeit. Jagende Eroten müssen aber nicht zwingend dieselbe Bedeutung haben. Man kann sie auch als Parodie auf die Jagd auf gefährliche Tiere sehen.
Von Rom nach Mannheim
Die 1871 in der Allgemeinen Bauzeitung vorgelegte Dokumentation von Max Honsell, dem leitenden Ingenieur und Baudirektor, enthält leider keine Angaben über den genauen Fundort des antiken Fragments. Es bleibt daher unklar, ob es im alten Neckarlauf oder im alten Rheinlauf entdeckt wurde. Da das Fragment zudem ein Einzelfund war, sind verschiedene Szenarien denkbar. Honsell vermutete, dass das Relief sowohl über den Rhein von Altrip her als auch über den Neckar von Ladenburg aus an die Neckarmündung gelangt sein könnte.
Es bleibt aber ungewiss, ob der dazu gehörige Sarkophag überhaupt in unserer Region verwendet worden war. Möglich wäre nämlich auch, dass er auf seinem Weg von Rom nach Germanien über eine längere Strecke auf dem Wasserweg transportiert wurde und im Gebiet des Hafens unter rätselhaften Umständen verlorenging. Jedenfalls sind in Rom hergestellte Sarkophage in Germanien selten anzutreffen, in Gallien dagegen häufiger. Es ist aber ebenso nicht auszuschließen, dass das Relief erst in nachantiker Zeit, eventuell erst im 18. Jahrhundert, beim Transport auf dem Flussweg untergegangen ist.
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