Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Unter den etwa 40.000 Kulturgütern der Sammlung „Weltkulturen“ der Reiss-Engelhorn-Museen befinden sich viele, die aus kolonialen Kontexten stammen. Das heißt, sie wurden in den ehemaligen europäischen Kolonien erworben, deren Rahmenbedingungen durch das Herrschafts- und Machtgefälle zwischen Kolonialmacht und Einheimischen geprägt war. Diese Hintergründe müssen bei allen Erwerbsumständen der Objekte stets berücksichtigt werden.

Teilweise lässt sich die Herkunft auf ehemalige deutsche Kolonien zurückführen, teilweise aber auch auf Gebiete anderer Kolonialmächte wie Großbritannien oder Frankreich. Manche Objekte stammen zudem zwar aus der Kolonialzeit, wurden aber erst später von Sammlerinnen und Sammlern auf dem Kunstmarkt erworben, so dass die Informationen zur Herkunft der Objekte und ihrer ursprünglichen Erwerbungsgeschichte nicht immer bekannt sind. 

    Bereits seit einigen Jahren wird an den Reiss-Engelhorn-Museen an der Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte einzelner Sammlungen gearbeitet. Hierzu gehören zum Beispiel die Sammlung Theodor Bumiller und die Sammlung von Franz und Marie Pauline Thorbecke, die dank der Fördermittel des Landes Baden-Württemberg digitalisiert und aufgearbeitet werden. Auch konnte mit Hilfe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg die Erforschung unserer Bestände von Benin-Bronzen geleistet werden, und so die Weichen für die Rückgabe an Nigeria gestellt werden. Dank weiterer Fördermittel des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst widmet sich ein zusätzliches Projekt der Erforschung unserer Objektbestände aus Togo.

      mehr über Ziel und Vorgehensweise erfahren

      Ziel

      Erklärtes Ziel der Aufarbeitung kolonialzeitlichen Sammlungsguts ist die Dekolonisierung der Museumsarbeit. Darunter versteht man generell eine Öffnung und Änderung der Perspektive auf die Sammlungen und das damit verbundene Wissen sowie neue Ausstellungsformate und eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften aus jenen ehemals kolonialisierten Ländern. Weitere Aspekte wie die Erforschung der Herkunftsgeschichte der Objekte (Provenienzforschung) und der Aufbau von Netzwerken gehören dazu. Die Basis bilden die laufenden Forschungsprojekte und die regelmäßige Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnerinnen und Partnern.

      Neben der Forschung legen wir derzeit den Schwerpunkt vor allem darauf, Netzwerke im In- und Ausland zu bilden und zu pflegen. Aktuelle Maßnahmen erfolgen mit Beteiligung von Herkunftsgemeinschaften und Forschenden in den Ursprungsländern unserer Sammlungen sowie mit Gemeinschaften und Akteuren in Deutschland. Dies ist für uns eine wichtige Grundlage für die Zukunft, in der wir Ausstellungskonzepte mit Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsgemeinschaften verwirklichen möchten.

      Vorgehensweise

      Beim Umgang mit unseren kolonialzeitlichen Sammlungen orientieren wir uns an der Heidelberger Erklärung. Dies ist eine Stellungnahme der Ethnologischen Museen Deutschlands vom 6. Mai 2019, die auch die Reiss-Engelhorn-Museen unterzeichnet haben. Außerdem sind die Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus Kolonialen Kontexten, die im März 2019 von den Kultusministerien auf Bund- und Landesebene veröffentlicht wurden, eine wichtige Grundlage für unsere Arbeitsweise. 

      Die systematische und umfassende Erforschung der Sammlungsbestände ist ein wichtiger Teil der Aufarbeitung der Museumsgeschichte und des Kolonialismus. Um festzustellen, ob die Kulturgüter unserer Sammlungen aus kolonialem Unrecht stammen, ist die Provenienzforschung unerlässlich. Das bedeutet, die ursprüngliche Herkunft der Objekte, ihre Erwerbsumstände sowie die Erwerbskette bis in museale Sammlungen zu ermitteln und zurückzuverfolgen. Der Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Sammlungsgütern stehen wir, die Reiss-Engelhorn-Museen, offen gegenüber. 

      Als Museum in kommunaler Trägerschaft stehen den Reiss-Engelhorn-Museen jedoch nur begrenzte personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung. Die laufenden Projekte werden deshalb durch das Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und durch zeitlich befristete Drittmittelförderung getragen. Wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche Gelingen einer Dekolonialisierung der Museumsarbeit sind Zeit und Kontinuität sowie eine ausreichende Finanzierung. Es bedarf eines klaren politischen Bekenntnisses, um in Zukunft ausreichend Sondermittel für Personal und Sachmittel zur Verfügung zu stellen.

      Lernmaterial für Schulen

      Mit unserem Lernmaterial möchten wir Lehrkräften eine Unterstützung anbieten, um mit SchülerInnen der Mittel- und Oberstufe das Thema Kolonialgeschichte im Unterricht behandeln zu können. Es eignet sich für das Fach Geschichte der 7. und 8. Klassen im Themengebiet „Imperialismus und Erster Weltkrieg“sowie in der Oberstufe im Themengebiet „Aktuelle Probleme postkolonialer Räume in historischer Perspektive“.

      Zum Lernmaterial „Kolonialgeschichte“

      Stellungnahmen

      Zur Etablierung eines Fonds zur Rückführung menschlicher Überreste (Juli 2024)

      Stellungnahme des Expert*innen-Netzwerks zum Umgang mit menschlichen Überresten zur Etablierung eines Fonds zur Rückführung menschlicher Überreste (Juli 2024)

      Die Aneignung menschlicher Überreste in der Kolonialzeit hat bis heute enorme Auswirkungen auf Nachfahr*innen, die betroffenen Communities und ihre Herkunftsländer. Seit vielen Jahren legen sie gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie auch Provenienzforscher*innen und Kurator*innen von Museen und Sammlungen dar, dass Rückführungen menschlicher Überreste finanzielle Unterstützung benötigen. 2023 fiel die politische Entscheidung, hierfür notwendige Gelder zukünftig bereitzustellen. Für die Umsetzung schlägt das Expert*innen-Netzwerk in seiner Stellungnahme einige allgemeine Prinzipien und spezifische Maßnahmen vor.

      Zur Stellungnahme / Statement (pdf, DE/EN)

      Das Netzwerk ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich in ihrer praktischen oder theoretischen Arbeit mit menschlichen Überresten beschäftigen. Das Ziel ist ein angemessener Umgang mit den sterblichen Überresten von Menschen in Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Das Netzwerk existiert seit 2021 und ist ein assoziierter Teil der AG Koloniale Provenienzen des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V.

      Rundschreiben bezüglich der Einrichtung der Fonds für die Rückführung von Kulturgütern und menschlicher Gebeine

      Rundschreiben der Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. an die Kulturstaatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Claudia Roth, den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Dr. Andreas Görgen, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt für internationale Kulturpolitik Katja Keul, den Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Leiter der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland Prof. Dr. Markus Hilgert, die Mitglieder der Bund-Länder Arbeitsgruppe zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, den Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg Prof. Dr. Gilbert Lupfer anlässlich der Stellungnahme zur Etablierung eines Fonds zur Rückführung menschlicher Überreste.

      Zum Rundschreiben (pdf)

      Zürcher Erklärung (2024) & Heidelberger Stellungnahme (2019)

      „Zürcher Erklärung 2024“ der Ethnologischen Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum

      Gemeinsam mit 26 weiteren Museen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben wir anlässlich der diesjährigen Jahreskonferenz der Direktorinnen und Direktoren der Ethnologischen und Weltkulturen-Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum die „Zürcher Erklärung 2024“ unterzeichnet. Die Stellungnahme rückt die Potenziale der Museen und Sammlungen vor dem Hintergrund global erstarkender Nationalismen und Krisen weiter ins Bewusstsein von Öffentlichkeit, Politik und Medien. Die „Zürcher Erklärung 2024“ ergänzt die im Mai 2019 publizierte „Heidelberger Stellungnahme“, in der die Dekolonisierung der Museumsarbeit gefordert wurde. Mit den Schlüsselbegriffen „Dialog, Expertise und Unterstützung“ zielte die erste Stellungnahme vor allem auf den transparenten Umgang mit der Sammlungsgeschichte und die Sammlungsobjekte.

      Zürcher Erklärung 2024 (pdf)

      Zurich Declaration 2024 (pdf)

      Zur Heidelberger Stellungnahme 2019

      Aktuelles

      Kategorie: Kolonialzeit

      Was macht eigentlich ein Provenienzforscher?

      In den vergangenen Jahren ist die Frage nach der Herkunft von Museumsobjekten immer wichtiger geworden. Die Weltkulturen-Sammlung der rem umfasst rund 40.000 Artefakte aus allen Erdteilen. Unter welchen Umständen die Stücke angeeignet wurden und welche Wege sie bis nach Mannheim zurückgelegt haben, ist bisher nur teilweise erforscht. Um ihrer Herkunft auf den Grund zu gehen, braucht es aufwendige Recherchen. Provenienzforscher Jamie Dau gibt einen Einblick in seine Arbeit.

      Ahnen kehren zurück nach Neuseeland

      Drei mumifizierte menschliche Māori-Köpfe aus den Reiss-Engelhorn-Museen kehren zurück nach Neuseeland. Eine Māori-Delegation sowie Vertreter des neuseeländischen Nationalmuseums Te Papa Tongarewa nahmen die Ahnenköpfe am 26. Mai im Rahmen einer feierlichen und bewegenden Zeremonie entgegen. Wir freuen uns über die Repatriierung, denn gemäß den Glaubensvorstellungen der Māori sind die sterblichen Überreste der Ahnen spirituell eng mit ihrer Heimat verbunden.

      Projekte

      Benin-Bronzen

      Reliefplatte, Benin-Bronzen, Reiss-Engelhorn-Museen

      Rückgabe von Benin-Bronzen in Vorbereitung

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      Sammlung Thorbecke / Bumiller

      Stosszahn, Sammlung Bumiller, Reiss-Engelhorn-Museen

      Digitale Erfassung der Sammlungskonvolute Theodor Bumiller (1864 – 1912) und Franz Thorbecke (1884 – 1919)

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      Objekte aus Togo

      Tanztrommel, Nord-Togo, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim

      Erforschung von Objekten aus Togo dank Förderung des Landes Baden-Württemberg

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      Partnerprojekte

      Die Reiss-Engelhorn-Museen führen nicht nur eigene Projekte durch. Wir unterstützen auch regelmäßig andere Forschende aus dem In- und Ausland. Der Umfang dieser Unterstützung kann unterschiedlich ausfallen. Die Bandbreite reicht von Beantwortung allgemeiner Anfragen bis hin zu engen Kooperationen. Hierfür stellen wir oftmals für bundes- oder europaweite Recherchen Informationen aus unseren Sammlungsbeständen zur Verfügung.

      Diese wichtigen Kollaborationen nehmen im Umfang zur Zeit stark zu, da sich viele Forscherinnen und Forscher den Sammlungsbeständen aus kolonialen Kontexten zuwenden und hierfür oft institutionsübergreifend arbeiten. Diese Partnerprojekte bilden ein wichtiges Netzwerk für uns und unsere Forschungen in Gegenwart und Zukunft. Wir stelllen hier beispielhaft einige Projekte vor, an denen wir uns beteiligen.

      Namibia (Deutsches Zentrum Kulturgutverluste)

      • Pilotprojekt zu namibischen Artefakten in Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum
      • am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Magdeburg (DZK)
      • Laufzeit: 2020 – 2022
      • Ziel: Erstellung eines Gesamtdossiers zu Objekten aus Namibia in Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum (Datenbank mit Objektinformationen sowie Kurzprofil der Sammlung) / Online Guidebook and Inventory of Namibian Cultural Heritage in Museums and University Collections in German-Speaking Countries
      • Beitrag Reiss-Engelhorn-Museen: Recherchen in der Namibia-Sammlung und Ausleitung der Daten gemäß der Projekt-Datenbank, zum Teil mit Fotos, Mitarbeit zu Exposé (Kurzprofil der Namibia-Sammlung als Fließtext).

      Kenia (International Inventories Programme)

      • Internationales Forschungs- und Ausstellungsprojekt
      • geführt von einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern / Künstlerkollektiven, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Kultur- und Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in Zusammenarbeit mit den Nationalmuseen in Kenia und dem Cultural Heritage Department in Nairobi
      • Laufzeit: 2019 – 2022
      • Ziel: Das vierjährige Projekt mündete in drei Ausstellungen und einer großen Datenbank mit Objekten aus  Kenia
      • Beitrag Reiss-Engelhorn-Museen: Recherchen zu der Kenia-Sammlung und Ausleitung der Daten gemäß der Projekt-Datenbank, zum Teil mit Fotos
      • International Inventories Programme

      Kamerun (Deutsche Forschungsgemeinschaft)

      • Umgekehrte Sammlungsgeschichte. Ein kommentierter Atlas zum materiellen Erbe Kameruns an deutsche Museen
      • gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn (DFG)
      • Projektleitung: Benedicte Savoy und Albert Gouaffo, Université de Dschang, Kamerun
      • Standort Technische Universität Berlin (TU Berlin), fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne
      • Laufzeit: 2021 – 2024
      • Beitrag Reiss-Engelhorn-Museen: Recherchen in der Kamerun-Sammlung (über die Sammlung Franz und Marie Pauline Thorbecke hinaus), Ausleitung der Daten gemäß der Projektdatenbank
      • Über das Projekt

      Badisches Landesmuseum Karlsruhe

      • Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Referat Kunst- und Kulturgeschichte
      • Zusammenarbeit und Austausch über den 1935 erfolgten Ringtausch, durch den Mannheim 5600 ethnographische Objekte aus Karlsruhe erhielt
      • Erforschung der gemeinsamen Sammlungsgeschichte sowie einzelner Konvolute / Objekte
      • Laufzeit: laufend, verstärkt 2020 – 2022
      • Beitrag Reiss-Engelhorn-Museen: Recherchen in der Sammlung zur Herkunft der Objekte aus Karlsruhe, Ausleitung von Datenbank-Auszügen

      Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

      • Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Geschichtswissenschaften, Abteilung Globalgeschichte, PD Dr. Stefanie Michels
      • Zusammenarbeit zur Sammlung Thorbecke, Kamerun, teilweise auch Ghana
      • Laufzeit: laufend, aktuell Forschungsprojekte 2022 – 2024 unter Mitarbeit der Reiss-Engelhorn-Museen mit Y. Karakis M.A., „’Forschungsreisen‛ als kolonialer Erwerbungskontext von ethnografischen Objekten, human remains, Fotografien und Malerei – die ’Forschungsreise der Deutschen Kolonialgesellschaft Kamerun‛ (1911 – 1913, Thorbecke)“

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