Kummer und Freude zugleich

In Zeiten knapper Kassen entwickeln sich manchmal selbst die Kernaufgaben eines Museums, wie zum Beispiel die Bestandserhaltung, zu einer Herausforderung. Gerade für nach außen unsichtbare Arbeiten lassen sich oft auch keine Möglichkeiten zur Drittmittelfinanzierung finden. Umso erfreulicher, dass die Ernst von Siemens Kunststiftung in den letzten beiden Jahren die Bearbeitung von Knüpfteppichen aus zwei rem-Sammlungen unterstützt hat. Beim aktuellen Projekt weckten persische Inschriften die Neugier der Restauratorinnen.

Dank der Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung (EvSK) konnten bereits 2020 mehrerer Knüpfteppiche aus der Sammlung Erika Harre – indirekt der Stifterin des Museumsgebäudes in D5 – bearbeitet werden. In diesem Jahr erhielt das Folgevorhaben „Schätze des Orients – Restaurierung von Knüpfteppichen aus der Sammlung Carl Bosch“ eine weitere, großzügige Mittelbewilligung.

Die Teppichsammlung der rem

Die Reiss-Engelhorn-Museen verfügen über eine große Kollektion von Tapisserien und Knüpfteppichen mit ca. 2500 Objekten. Diese war früher zum Teil in einer zeitweise überlassenen städtischen Liegenschaft untergebracht, die 2016 wegen akuter Baumängel evakuiert werden musste – darunter auch die Sammlungen Harre und Bosch.

Nach dem Umzug in das neue Sammlungszentrum waren die Objekte erst einmal in Sicherheit. Doch da das Textilatelier der rem nur mit einer Restauratorin besetzt ist, konnte die vor der Magazinierung notwendige Überprüfung auf Schäden bis heute nicht abschließend erfolgen. Die Bearbeitung und das Hantieren der teils riesigen Formate sind enorm aufwändig und bedürfen vieler Hände. Erst durch die Finanzierung der EvSK ließ sich die nötige personelle Unterstützung durch zwei Freiberuflerinnen realisieren. Auf diese Weise konnte in den beiden Projekten die Nachsorge für insgesamt elf Teppiche mit knapp 60 m² Gesamtgröße erfolgen.

Die Sammlung Carl Bosch

Der Stifter Carl Bosch (1851-1938) ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Chemiker und Nobelpreisträger Carl Bosch (1874-1940). Es handelt sich hier um den 1851 in Stettin geborenen deutschen Fabrikanten, Orientreisenden und Handelsdiplomaten.

Bosch lebte zunächst aus Gründen der Gesundheit, später als Großkaufmann zehn Jahre in Kairo. 1888 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt, führte ihn seine Expertise auf wirtschaftlichem Gebiet schließlich in den Nordosten Afrikas, nach Kleinasien sowie in den Nahen und Mittleren Osten. Dabei fertigte er schriftliche und bildliche Berichte an. Vor Ort trug er Alltagsgegenstände, Kunsthandwerk inkl. Teppiche und Waffen zusammen.

Angeregt durch das überregionale Medienecho von Ausstellungen des Museums Zeughaus bot er 1937 die auf seinen Reisen angelegte, umfangreiche ethnologische Sammlung dem Mannheimer Museum als Geschenk an. Die Ankunft seiner Bestände, die in die Vorwirren des 2. Weltkriegs fiel, erlebte er jedoch nicht mehr. Er verstarb noch im selben Jahr in Berlin, wo er zuletzt wohnte.

Am 2. März 1938 traf die knapp fünfhundert Stück umfassende Kollektion in Mannheim ein, darunter auch drei Fotoalben, die Boschs Unternehmungen eindrucksvoll illustrieren. Zusammen mit den publizierten Schilderungen seiner Expeditionen liegt damit ein außergewöhnlich vollständiges Bild früher beruflicher Reisen vor, das gleichzeitig die Ausprägungen kolonialer Bestrebungen des deutschen Kaiserreichs dokumentiert. Anhand dieser Quellen lässt sich nachvollziehen, dass Boschs Reiserouten unweit der wichtigen Teppichzentren im heutigen Nord- und Zentraliran vorbeiführten. Tatsächlich stammen auch die nun bearbeiteten Stücke aus Tabriz, Haris und Širaz, so dass vermutet werden kann, dass er offenbar auch jeweils Belege gesammelt hat.

Persische Inschriften

An zwei Knüpfteppichen aus Tabriz wurden während der Restaurierung persische Inschriften entdeckt und von dem in Mannheim lebenden, iranischstämmigen Künstler Mehrdad Zaeri übersetzt. Während er bei einem Teppich eine Herstellersignatur identifizieren konnte, ergaben die Zeichen auf einem anderen Stück für ihn zunächst keinen rechten Sinn, so dass er die ihm übersandten Bilder seinen Eltern zeigte.

Sein Vater erkannte darin gleich ein ihm seit Kindheitstagen bekanntes Gedicht aus der früheren Heimat. Die erste Zeile lautet: DAR IN DONYA KASI BI GHAM NABASHAD (in dieser Welt ist niemand ohne Kummer) und die zweite AGAR BASHAD BANI (ADAM) NABASHAD (wenn es einer wäre, dann wäre es kein Menschenkind), wobei das Wort "ADAM" (Mensch) hier fehlt. Den scheinbaren Widerspruch des Texts zu der in warmem Kirschrot gehaltenen Farbigkeit des seidenen Teppichs und der reich mit Bäumen und Blütenzweigen gemusterten Darstellung erklärte Zaeri damit, dass in der persischen Kultur Trauer und Freude eng miteinander verwoben seien – sowohl Vers als auch Teppich demnach tröstend zu verstehen.

Nach dem Projekt ist vor dem Projekt

Die behandelten Teppiche sind nun alle fachgerecht restauriert worden, in der Museumsdatenbank ausführlich beschrieben und bebildert hinterlegt. Die gereinigten Objekte werden auf säurefreien Papphülsen aufgerollt im neuen, modernen Depot verwahrt. Für Studienzwecke sind sie so nun gangbar, für eine Ausstellung müssten sie noch weiter stabilisiert werden. So bleibt nur zu hoffen, dass sich auch für die übrigen noch unbearbeiteten Teppiche aus dem alten Depot bald eine Finanzierung findet.

Neugierig geworden?

Allen, die mehr über die Abenteuer Carl Boschs wissen möchten, sei die Lektüre seines 1928 unter dem Titel „Karawanen-Reisen“ bei August Scherl in Berlin erschienenen Expeditionsberichts u.a. durch den Iran empfohlen (nur antiquarisch erhältlich).

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