Dem Zinn-Rätsel der Bronzezeit auf der Spur

Mannheimer Wissenschaftler erzielten bei der Lösung eines der größten Rätsel der prähistorischen Archäologie einen spektakulären Durchbruch. Erstmals konnten sie eindeutig nachweisen, woher das Zinn für die Waffen und Werkzeuge der Bronzezeit in Zentralasien stammte. Ermöglicht wurde dies durch eine Kombination verschiedener Analysemethoden.

Bronze entsteht durch die Verschmelzung von Kupfer und Zinn und gab einer Periode der Menschheitsgeschichte ihren Namen: der Bronzezeit. Aber woher stammte das Zinn für Metallgegenstände wie Schwerter, Armreife oder Krüge? Diesem Rätsel sind die Experten des an den Reiss-Engelhorn-Museen beheimateten Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie (CEZA) seit Jahren auf der Spur. Eine aktuelle, bahnbrechende Studie führt nach Zentralasien.

Zentralasien wurde in der Mittel- bis Spätbronzezeit (ca. 2200 – 1300 v. Chr.) von zwei Kulturgruppen dominiert: dem Bactria-Margiana Archaeological Complex (BMAC) im Süden und der Andronovo-Kultur im Norden. Beide Gruppen traten ab dem 18. Jahrhundert v. Chr. in engeren Kontakt. Sie stellten Metallobjekte her, die mit immer höheren Zinnanteilen verarbeitet waren. Die Frage, die bis heute nicht eindeutig beantwortet werden konnte, war die nach den konkreten Quellen des Zinns. Durch Geländeuntersuchungen waren einige Zinnbergwerke bereits bekannt, unter anderem Karnab und Lapas in Usbekistan sowie Muschiston in Tadschikistan. Dass diese ausgebeutet wurden, legten zudem archäologische Ausgrabungen nahe.

Methodenkombination entscheidend für Forschungserfolg

Ein am CEZA neu entwickelter Multiparameteransatz brachte jetzt den Durchbruch. Dabei wurden die Methoden der Zinn-, Kupfer- und Bleiisotopenanalyse sowie der Bestimmung von Spurenelementen kombiniert.

Auf diese Weise waren die Wissenschaftler zum ersten Mal in der Lage, die Bronzen der Andronovo-Kultur und der Spätphase des BMAC eindeutig auf die Zinn- und Kupfererze von Muschiston zurückzuführen. Der isotopische und chemische „Fingerabdruck“ der Lagerstätte ist derart spezifisch, dass zusammen mit den archäologischen Informationen keine Zweifel an der Herkunft bestehen. Muschiston ist archäologisch vor allem auch deswegen interessant, da das verhüttete Erz von dort eine „natürliche Bronze“ liefert. Das zeigt eindrucksvoll eine Verschüttungsschlacke mit Bronzeresten, die bereits 2022 in Mannheim analysiert und auf Muschiston zurückgeführt wurde.

Rückschlüsse auf Wirtschaftsbeziehungen

Insgesamt untersuchte das Mannheimer Forscher-Team mehr als 90 Artefakte von BMAC- und Andronovo-Fundstellen sowie zahlreiche Zinnerze in Zentralasien. Parallel konnte auch die Herkunft des Kupfers für viele Artefakte geklärt werden: In der mittleren Bronzezeit nutzte des BMAC Kupfer aus iranischen Bergwerken bei Deh Hosein und Lagerstätten in der Anarak-Region. Gemeinsam mit dem Kupfer gelangte höchstwahrscheinlich auch Zinn nach Zentralasien.

Ab der Spätbronzezeit änderten sich aber die kulturellen Beziehungen und die Menschen des BMAC verwendeten zunehmend Kupfer und eben auch Zinn aus dem Gebiet der Andronovo-Kultur (Tienshan-Gebirge). Das unterstreicht die enge Verflechtung der beiden bronzezeitlichen Kulturgruppen Zentralasiens und eröffnet erstmals ein weites Fenster auf die damaligen überregionalen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen der Region.

Fragen zu anderen Rohstoffquellen weiterhin offen

Dass die Beschaffung der Rohstoffe der Bronze für die Menschen damals allerdings noch weitaus komplexer war, verdeutlicht neben der Vielzahl von Zinn- und Kupferlagerstätten in der Region auch die Existenz von Bronzeartefakten, deren Daten auf weitere, noch immer unbekannte oder unzureichend naturwissenschaftlich charakterisierte Rohstoffquellen schließen lassen.

Den Wissenschaftlern des CEZA bieten sich also weiterhin genügend Ansätze für neue Forschungen in der Region. Die Ergebnisse der Studie sind aber grundlegend für alle zukünftigen Studien zum Zinn. Artefakte aus verschiedenen Regionen können mit den vorliegenden Daten verglichen werden und so zu einer hoffentlich abschließenden Lösung des Zinn-Rätsels beitragen.

Neugierig geworden?

Die Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal „Frontiers in Earth Science“ veröffentlicht. Die Autoren sind Daniel Berger, Joachim Lutz, Andreas Wittke und  Ernst Pernicka.
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