Maria Callas – La Primadonna assoluta
Ihr Leben trägt selbst opernhafte Züge. Die 1940er und 50er sind die goldenen Jahre der Sängerin Maria Callas. Sie erobert den Opernolymp. Ihre Interpretationen setzen neue Maßstäbe und sind bis heute unübertroffen. Ihre Auftritte sind legendär. Sie wird zum Mythos, zur Stilikone. Ihr Privatleben dagegen ist ein Fiasko. 1977 stirbt sie mit nur 53 Jahren vereinsamt an Herzversagen. Dank CDs, Internet und Hologramm-Technik ist sie nach wie vor omnipräsent und auch eine jüngere Generation erliegt der Callas-Faszination.
Harte Kindheit und Drill
Geboren wird sie am 2. Dezember 1923 in New York als Cecilia Sofía Anna María Kalogeropoúlou. Die Eltern haben ihre griechische Heimat kurz zuvor verlassen, um sich in der neuen Welt ein besseres Leben aufzubauen. Nachdem der Vater, ein erfolgloser Apotheker, scheitert, beschließt die Mutter, gemeinsam mit den beiden Töchtern nach Athen zurückzukehren. Hier bekommt Maria, die gerade einmal 14 Jahre ist, ihre Ausbildung im Athener Konservatorium bei der spanischen Primadonna Elvira de Hidalgo. Sie wird ihre Mentorin und prägt entscheidend die gesangliche und persönliche Entwicklung der Callas.
Die überehrgeizige Mutter, der selber eine Karriere versagt blieb, drängt die Tochter unerbittlich zum Singen und projiziert ihre eigenen Wünsche in Maria hinein. Die Tochter ist damals übergewichtig, kurzsichtig und linkisch. Als Erwachsene klagt die Callas, dass sie schon früh bemerkt hatte: „Nur wenn ich sang, durfte ich mich geliebt fühlen“. Die Stimme dient als Sprachrohr zur Außenwelt und als Kompensation für Liebe, Anerkennung und Wertschätzung, die sie sonst im Privatleben nicht findet. Nur Leistung zählt und der Ehrgeiz, die Beste um jeden Preis zu sein.
Kometenhafter Aufstieg und die Goldenen Jahre
Nach erfolglosem Vorsingen in New York gelingt ihr in der Arena von Verona 1947 der große Durchbruch in der Oper „La Gioconda“. Sie lernt ihren späteren Gatten, den italienischen Unternehmer Giovanni Battista Meneghini, kennen, der zugleich ihr Manager wird. Für eine überzeugendere Bühnenpräsenz unterzieht sie sich einer strengen Diät. Im Mai 1953 wiegt die Callas bei einer Körpergröße von 1,73 Metern 91 Kilo. In wenigen Monaten hat sie 36 Kilo abgespeckt. Der Audrey Hepburn-Look ist ihr Vorbild. Die Metamorphose vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan gelingt der Callas und ihre Präsenz ist sowohl auf der Bühne wie im Leben geradezu charismatisch.
Sie brilliert sowohl darstellerisch als auch gesanglich und erobert die Opernhäuser in Europa sowie Nord- und Südamerika wie ein Tornado. Sie wird zur Stil-Ikone, vergöttert und zugleich gehasst. Ihren absoluten Perfektionismus ringt sie sich nicht nur selber ab, sondern verlangt diesen auch von ihren Kolleginnen und Kollegen. Sie gilt als schwierig, launenhaft und unkollegial.
Ein Schnappschuss besiegelt schließlich ihr Schicksal: 1955 lauert ihr ein Sheriff in Chicago nach einer Aufführung der „Madame Butterfly“ hinter der Bühne auf und steckt ihr eine Gerichtsvorladung in den Kimono. Sie rastet darauf hin aus, herrscht ihn wutentbrannt an und ihr Gesicht verwandelt sich zu einer rasenden furchteinflößenden Megäre. Das Bild geht um die Welt und zementiert das Image der Callas für ihr ganzes Leben als launische, diktatorische Diva. Die Presse stempelt sie als „Tigerin“ ab, der Simplicissimus zeigt sie als Männer mordende Medusa.
Mit zeitlichem Abstand und von heute aus betrachtet würde man der Callas die Vorreiterrolle einer modernen, emanzipierten Frau bescheinigen, die lediglich ihren hohen Kunstanspruch in einem von Männern dominierten Opernbetrieb verteidigt. So nimmt es nicht Wunder, dass die Callas Ende der 1950er Jahre neben der Callas-Vergötterung als eine der unbeliebtesten Personen in der Öffentlichkeit angesehen wird.
Vokalische Entäußerung und Seelenklang
Maria Callas Stimme umfasst drei Oktaven. Somit kann sie alle für die Oper komponierten Frauenrollen verkörpern – vom Sopran, Mezzosopran bis Alt. Sie verfügt über eine enorme Interpretationsbandbreite von unterschiedlichen Gesangsregistern. Ihr lyrischer, dramatischer Gesang und ihre einzigartigen Koloraturkaskaden sind ausdrucksstark und packend. Mit einem Espressivo der Leidenschaften kompensiert sie ihren Stimmklang, der nicht unbedingt im klassischen Sinne schön, dafür aber einprägsam ist. Sie revolutioniert die Oper und setzt statt Wohlklang den Ausdrucksklang. Ihre Interpretation der verkörperten Frauengestalten auf der Bühne sind nur möglich durch totale Identifikation mit den Rollen.
„Alles was ich mache, ist instinktiv. Ich sehe und höre mich nicht, und das ist vielleicht gut so. Würde ich mich selber sehen, wäre ich dann vielleicht befangen.“ (Maria Callas, Interview mit Wolf Mittler, München, Hotel Vierjahreszeiten, 1959).
Neben den melodramatischen Opern von Verdi, Puccini, Mascagni und Leoncavallo erleben längst verschollene Opern des frühen 19. Jahrhunderts dank ihrer magnetischen Darstellungs- und eigenwilligen Interpretationskraft eine Renaissance. Die Callas vermag jeder Rolle eine eigene Stimme zu geben und führt die Oper zurück auf ihre Ursprünge: die Verschmelzung des Belcantos mit dem Drama. Ihr Gesang verschmilzt zu seelischen Laut-Klängen und reißt das Publikum von Anbeginn bis zum Schluss in ihren Bann. Am Anfang ihrer Karriere werden heftige Debatten zwischen Anhängern und Gegnern der Callas geführt. Ihr Gesang verstört Publikum und Kritiker und zerstört zugleich alte Gesangsgewohnheiten. Callas befreit die Rollen vom Zuckerguss und setzt eine glaubwürdige Interpretation entgegen. Zu ihren Paraderollen zählen Tosca, Norma, La Traviata und Medea.
Hommage à Callas – La voce divina ed eterna
„Als die Aufführung vorbei war, wussten wir, die Welt der Oper hatte sich verändert. Es gab nun so etwas wie eine neue Zeitzählung: v. C. und n. C. – vor Callas und nach Callas.“ (Franco Zeffirelli 1953, nachdem er Maria Callas in Cherubinis „Medea“ gehört hat)
Die meisten Opern, die Callas gesungen hat, sind bis heute nicht nur unerreicht geblieben, sondern es gibt – so die Ansicht des Autors – keine adäquate Nachfolge. Sicherlich gibt es sehr schöne Stimmen, einige werden als Callas-Nachfolgerin gehypt, wie die jüngst verstorbene Montserrat Caballé oder Anna Netrebko. Bei allen fehlt jedoch die gesanglich-magnetische und szenische Darstellungskraft einer Callas, die vermag, dass wir mit den Rollen mitleiden vom ersten bis zum letzten Akt.
„Sie hat nicht Rollen gesungen, niemals, sondern auf der Rasierklinge gelebt. Sie war der Hebel, der eine Welt umgedreht hat, man konnte plötzlich durchhören, durch Jahrhunderte, sie war das letzte Märchen.“ (Ingeborg Bachmann über Maria Callas)
Callas ultimativ letzter Opernauftritt war der 5. Juli 1965 in London. Einmalig in der Opernwelt, dass Fans tagelang in frostigen Winternächten in Schlafsäcken und auf Klappstühlen vor dem Londoner Opernhaus in Covent Garden campieren, um eine der heißbegehrten Karten zu ergattern. Nach ihrem letzten Auftritt dreht sie mit Pasolini 1969 den Film „Medea“. 1971 unterrichtet sie als Gesangspädagogin an der New Yorker Juillard School of Music. Danach zieht sich die Callas aus der Öffentlichkeit zurück. In ihrer Pariser Wohnung vereinsamt sie, hört sich immer wieder ihre alten Aufnahmen an und stellt voller Melancholie fest: „So wird die Callas nie wieder singen.“
Welttournee und die Callas in Mannheim
Anfang der 1970er Jahre startet sie mit ihrem einst langjährigen Gesangspartner Giuseppe di Stefano ihre letzte Welttournee und sie tritt auch in einigen deutschen Städten auf – so auch in Mannheim am 13. November 1973 im Nationaltheater. Der Autor dieses Beitrags, der selber anwesend war, erinnert sich noch lebhaft an diesen denkwürdigen Abend.
Vor ausverkauftem Haus wurden beide mit Jubelstürmen begrüßt. Die Tournee konnte allerdings mit den Studio-Aufnahmen aus der goldenen Ära, die noch in meinem Bewusstsein waren, stimmlich nicht mithalten. Meine Erwartungshaltung in der irrigen Annahme, dass Stimmen keinem zeitlichen Wandel unterworfen sind, war naiv und ungerecht. Zwischen Einst und Jetzt klaffte ein riesiger, schmerzlicher Graben. Die agilen Töne, das Legato unterschiedlicher Stimmregister, die nuancierten Phrasierungen, ein Pianissimo, aus dem sich die Stimme mühelos zu einem Forte steigerte, die Thrills in den Höhen, die uns einst wie ein Laserstrahl in sprachloses Erstaunen versetzt hatten, waren einem spröderen Klang gewichen. Eine gewisse innere Enttäuschung stieg in mir auf.
Rückblickend muss ich sagen, dass ich unendlich dankbar bin, diesen Abend erlebt zu haben. Trotz der unüberhörbar stimmlichen Mängel überwog die Aura der Callas, der mimische Ausdruck, das beredte Händespiel, die schlanke Figur. Das Publikum ließ sich an diesem Abend trotz einiger Buh-Rufe in seinem Enthusiasmus nicht abhalten, beiden Stars – besonders La Callas – mit nicht mehr endendem frenetischem Beifall zu danken. Vielleicht ahnte man, ein Relikt, ein Idol aus einer bald völlig untergegangenen Zeit vor sich zu haben und Zeuge genau dieser historischen Schnittstelle zu sein.
Das tragische Ende
Mitte der 1970er Jahre wird klar, dass Maria Callas an Dermatomyositis leidet, einer Erkrankung des Bindegewebes, das wohl auch für den zunehmenden Verlust des stimmlichen Vermögens seit Mitte der fünfziger Jahre mitverantwortlich ist. Die Sängerin ist lebensüberdrüssig. Ihr privates Leben liegt in Trümmern. Sie ließ sich von ihrem ersten Mann scheiden, strebte ein gemeinsames Leben mit Aristoteles Onassis an, der wiederum Jacky Kennedy heiratete. Die Flucht ins Jet-Set-Leben entpuppt sich als Leerlauf, die Dämonen der Vergangenheit, der unbewältigte Konflikt mit der Mutter, tauchen wieder auf. Das Schlimmste aber, wofür sie seit ihrer Kindheit gelebt hatte, ist die Opernbühne. Der Verlust der Stimme bedeutet zugleich den Tod der Callas. Um all das Fiasko zu vergessen wird sie tablettensüchtig.
Jeder Auftritt der Callas war ein Salto Mortale. Sie sang ohne Netz und doppelten Boden. Selbst im Scheitern übertraf sie routinierte Sängerinnen in ihrer Hochblüte. Wie die Antonia in „Hoffmanns Erzählungen“, die manisch zum Singen gezwungen wird und zugleich dies ihr Tod bedeutet, hat die Callas sich in jeder Rolle verzehrt. 1977 starb sie mit nur 53 Jahren einsam in ihrer Pariser Wohnung an Herzversagen.
„In unserer Zeit war Maria Callas einzigartig und isoliert wie eine versehentlich im falschen Jahrhundert gestrandete Frauengestalt des romantischen Zeitalters“ (Werner Schroeters Nachruf im „Spiegel")
Callas forever!
Callas ist heute lebendiger als je, eine jüngere Generation entdeckt diese Ausnahmekünstlerin. Sie wird dank Hologramm- und Projektionstechnik als Phantom „wiedergeboren“, so dass sogar Konzerte mit realem Orchester dem staunenden Publikum präsentiert werden. Die Kunstfigur Callas wird sicherlich dank KI in naher Zukunft ein weiteres Revival erleben. Arien wie die Königin der Nacht, die sie nie gesungen hat, werden geklont und durch ein Trugbild, ein Hologramm, wie eine Fata Morgana, ertönen, wo längst die Asche der Callas in der Ägäis verstreut wurde.
Aber Ihr Vermächtnis in Gestalt ihrer Plattenaufnahmen, Interviews und der wenigen Filmmitschnitte zeugt von dem hohen unvergleichlichen Kunstanspruch der Callas. Glücklich die, die sie noch live erlebt haben.
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