Von Objekten, Sammlern und ihren Geschichten

Woher kommen die Museumsobjekte? Wie gelangten sie während der Kolonialzeit nach Deutschland? Welche Geschichten erzählen sie nach Jahrzehnten in europäischen Museen noch? Und welches Wissen ging verloren? Ein kenianisch-deutsches Tandem-Team ging drei Monate lang in der Afrika-Sammlung der rem auf Spurensuche.

Der Begriff „Museum“ kann unterschiedliche Bilder in den Köpfen der Menschen hervorrufen: eine Institution, die Geschichten aus der Vergangenheit eines Landes erzählt, über verschiedene Kulturen informiert oder – aus einer postkolonialen Sicht betrachtet – das koloniale Erbe fortschreibt.

In den letzten Jahren ist die Frage nach Restitutionen in den Vordergrund gerückt. Ein Beispiel sind die Benin-Bronzen – kunstvoll gearbeitete Metallplatten und Skulpturen aus dem Palast des ehemaligen Königreichs Benin im heutigen Nigeria. Diese Bronzen, die 1897 von britischen Truppen geplündert wurden, sind heute in zahlreichen europäischen Museen verstreut. Nigeria fordert seit langem ihre Rückgabe, doch erst seit kurzem kommt Bewegung in die Sache. Die mediale Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass viele Menschen mehr über das Schicksal der Benin-Bronzen erfahren haben. Doch oft bleiben die Geschichten der Objekte, die während der Kolonialzeit nach Deutschland gebracht wurden und vom kolonialen Erbe Deutschlands erzählen, verborgen. Das wollen wir ändern, zumindest ein bisschen.

Ein kenianisch-deutsches Tandem an den rem

Wir sind Cheruto und Lara. Gemeinsam bilden wir ein kenianisch-deutsches Tandem-Team. Im Rahmen des Tandemprogramms von „kulturweit“ haben wir an den Reiss-Engelhorn-Museen an einem dreimonatigen Projekt gearbeitet, das sich mit der Geschichte des Kolonialismus und unserer postkolonialen Gegenwart beschäftigt. Ursprünglich wollten wir in einer Podcast-Miniserie die Geschichten verschiedener Objekte der Afrika-Sammlung der rem erzählen. Schnell haben wir jedoch festgestellt, dass in vielen Fällen nur wenig über die Objekte, ihre Herkunft und ihre Aufnahme in die Museumssammlung bekannt ist.

Diese Herausforderung veranlasste uns, einen anderen Ansatz zu wählen und stattdessen die Menschen näher zu betrachten, die diese Objekte sammelten, bevor sie ins Museum kamen. Wer waren diese Menschen? In welche afrikanischen Gebiete führten ihre Wege sie? Und was brachten sie nach Deutschland zurück? Diesen Fragen gehen wir in unserer Podcast-Miniserie „A Trail of Artefacts“ nach:

Teil 1: A Trail of Artefacts – Theodor Bumiller (dt/en)

Teil 2: A Trail of Artefacts – Franz und Marie Pauline Thorbecke (dt/en)

Die Entstehung ethnologischer Sammlungen

Um zu verstehen, warum die Herkunft vieler Objekte nur unzureichend dokumentiert ist, lohnt sich ein Blick darauf, wie die Sammlungen ethnologischer Museen entstanden sind. Der Grundstein für viele Sammlungen wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert gelegt. Die meisten Museen bauten ihre Sammlungen durch die Zusammenarbeit mit Militärs und Kolonialbeamten auf. Ein Beispiel dafür ist Theodor Bumiller, über dessen Eroberungsfeldzüge in Deutsch-Ostafrika wir in der ersten Folge unserer Miniserie erzählen.

Museen arbeiteten aber auch mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungsbereichen zusammen. Im Fall der Mannheimer Sammlung war einer dieser Forscher Franz Thorbecke. Über seine wissenschaftliche Expedition nach Kamerun zusammen mit seiner Frau Marie Pauline Thorbecke erzählen wir in der zweiten Folge unserer Miniserie. Auch mit Missionaren, Händlern, Plantagenbesitzern und Siedlern wurde beim Aufbau der Sammlungen zusammengearbeitet.

Diese Personen sammelten Objekte, die sie nach Deutschland brachten. Wissenschaftliche Standards spielten dabei nicht immer eine Rolle, es wurden auch Jagdtrophäen oder Siegesbeute zu privaten Erinnerungszwecken gesammelt. Einige dieser Objekte wurden später an ethnologische Sammlungen verschenkt oder verkauft, entweder durch die Sammler selbst oder durch ihre Erben. Die Herkunft der Objekte, die Umstände ihres Erwerbs und ihr Weg in die Museen wurden dabei oft nur unzureichend dokumentiert, was die Provenienzforschung heute deutlich erschwert.

Speer von Mandaras Sohn

Ein gutes Beispiel dafür ist der „Speer von Mandaras Sohn“ aus der Bumiller-Sammlung. Theodor Bumiller hatte mehrere Objekte aus dem Bestand des deutschen Stationsleiters Fritz Bley übernommen. In Bleys Inventarliste wurde ein Speer aufgeführt, der einem der Söhne von Mangi Mandara gehört haben soll, dem Häuptling des Chagga-Volkes, dessen angestammtes Gebiet sich am Südhang des Kilimandscharo befindet. In Bumillers Liste wurde der Speer dann als „Speer, Spielzeug des Prinzen" gekennzeichnet. Es gab bereits einen Wissensverlust, als der Speer dem Chagga-Prinzen abgenommen wurde, aber durch den Besitzwechsel von Bley zu Bumiller und schließlich von Bumiller zum Museum verschlimmerte sich die Situation noch. In der Bumiller-Sammlung gibt es eine Vielzahl von Speeren, sodass es unmöglich ist herauszufinden, welcher von ihnen dem Prinzen gehörte oder ob dieser bestimmte Speer überhaupt Teil der Sammlung ist.

Der „Phantomspeer“ ist eine unsichtbare Erinnerung daran, welche Geschichten Objekte erzählen können, wie viel Wissen bereits verloren ging und wie wichtig es ist, Provenienzforschung zu betreiben und solche Geschichten zu bewahren.

Das Tandem-Programm von „kulturweit“

Das Tandem-Programm von „kulturweit“ bringt Menschen aus afrikanischen Ländern und Deutschland zusammen und fördert die Auseinandersetzung mit unserer postkolonialen Gegenwart. In afrikanisch-deutschen Zweierteams werden nun bereits in der zweiten Runde Projekte gegen Rassismus sowie zur Geschichte des Kolonialismus und seiner Auswirkungen auf die Gegenwart entwickelt und umgesetzt. Dafür sind die afrikanischen Teilnehmer*innen, die in der aktuellen Runde aus Kenia, Burundi und Ruanda stammen, für insgesamt drei Monate nach Deutschland gereist. In Zusammenarbeit mit Theatern, Museen, Schulen, Vereinen und Initiativen werden hier die Projekte realisiert. „kulturweit“ ist das internationale Bildungsprogramm der Deutschen UNESCO-Kommission und wird vom Auswärtigen Amt gefördert.

Neugierig geworden?

Unsere Sammlung „Weltkulturen“ umfasst rund 40.000 Kulturgüter von fünf Kontinenten. Mehr erfahren Sie hier.

Im rem-Blog stellen wir Ihnen regelmäßig ausgewählte Stücke und ihre Geschichte vor. Weitere Kulturgüter entdecken Sie hier.

Besuchen Sie unsere Seiten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.

In Film und Audio-Podcast gewähren rem-Direktorin Dr. Sarah Nelly Friedland und der wissenschaftliche Mitarbeiter Oussounou Abdel-Aziz Sandja einen Einblick in die Provenienzforschung an den rem. Werfen Sie einen Blick in unser Depot. Zu den digitale Angeboten

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