Ägyptische Mumien – Faszination und Forschung

Warum wurden Verstorbene in Ägypten bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert mumifiziert? Wo liegen die Anfänge unserer heutigen Mumienfaszination? Und wieso gelten Mumien heute als wertvolle biohistorische Archive vergangenen Lebens?

Neben monumentalen Pyramiden und eindrucksvoll dekorierten Gräbern verkörpern Mumien das Sinnbild altägyptischen Totenkultes. Durch künstliche Eingriffe am Leichnam vor dem Zerfall bewahrt, wurden sie dem natürlichen Kreislauf von Leben und Vergehen entzogen. Heute regen Mumien zum Sinnieren über die Vergänglichkeit menschlichen Daseins an. Als einzigartige bioarchäologische Archive bieten sie unter Anwendungen moderner und minimalinvasiver Methoden eine Chance, mehr über das Leben und die Herausforderungen in der Vergangenheit – etwa Krankheiten – zu erfahren und davonausgehend Rückschlüsse auf die Zukunft zu ziehen.

Vielfältige Mumifizierungstechniken

Das Verhindern des körperlichen Verfalls nach dem Tod war in der altägyptischen Hochkultur essentiell, um die Endlichkeit irdischen Lebens sprichwörtlich zu überwinden und in einer jenseitigen Welt auf ewig weiterleben zu können. Grund dafür war der altägyptische Seelenglaube. Gemäß den Glaubensvorstellungen musste der Leichnam als Rückzugsort für die beiden nicht-körperlichen Elemente Ka und Ba erhalten bleiben, damit diese nach dem Tod zum Körper zurückkehren konnten.

Heute ist die Vorstellung weit verbreitet, dass den Leichnamen stets Gehirn und Bauchorgane entfernt wurden, was jedoch keinesfalls auf alle Mumien zutrifft. Auch ist es kein zwingendes Merkmal einer qualitätvollen Mumifizierung Wohlhabender, wie die mit prachtvollem Schmuck dekorierten Mumien des königlichen Architekten Kha und seiner Frau Merit zeigen, deren Gehirn und Organe im Körper belassen wurden.

Ab Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. wurden Methoden zur künstlichen Körpererhaltung entwickelt. Die Techniken variierten. Die jeweilige Epoche, die lokale Tradition, und nicht zuletzt der gesellschaftliche Status beziehungsweise das soziale Umfeld des Verstorbenen spielten eine wichtige Rolle. Denn letztlich waren es meist die Verwandten, die für die Mumifizierung aufkommen mussten. Altägyptische Texte geben über den Ablauf und die Art und Weise der Mumifizierung wenig preis. Deshalb ist es vor allem die Untersuchung der Leichname selbst, die unser Wissen über die Mumifizierungstradition Ägyptens erweitern.

Die Anfänge der Mumienfaszination

Ein erstes Interesse an ägyptischen Mumien entwickelte sich in Europa im 12. Jahrhundert. Basierend auf irreführenden Übersetzungen arabischer Heiltexte durch westliche Autoren wurden Mumienteile zum vermeintlichen Arzneimittel „Mumia vera Aegyptiaca“ zerkleinert und für therapeutische Zwecke gegen diverse Erkrankungen und körperliche Leiden eingesetzt.

Ab dem 16. Jahrhundert erwarben erste Ägypten-Reisende Mumien als Souvenirs, die häufig als Kuriositäten in die Kunst- und Wunderkammern europäischer Adeliger eingingen. Im 19. Jahrhundert setzte dann eine wahre Begeisterung für alles Altägyptische ein, nicht zuletzt infolge der berühmten Ägypten-Expedition von Napoleon Bonaparte von 1798 bis 1801.

Reisende, Ausgräber und Sammler eigneten sich in großen Umfang antike Fundstücke an, darunter auch Mumien und Mumienteile. Neben aller Faszination hatte das große Interesse fremdländischer Besucher an den Kulturgütern Ägyptens einen maßgeblichen Anteil an der rasanten Entwicklung des Antikenhandels in dieser Zeit. Viele Mumien wurden noch vor Ort ausgewickelt, oder in Europa bei sogenannten „Mumien-Partys“ der gesellschaftlichen Oberschicht, aber auch von Forschenden, um zu schauen, was sich unter den Leinenbinden verbirgt. Ziel dieser Auswicklungen war es vor allem Schmuckstücke, Amulette und andere Beigaben zu finden, wie auch echte von gefälschten Mumien zu unterscheiden. So verwundert es nicht, dass schon kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlung 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen auch Mumien geröntgt wurden.

Mumienforschung als interdisziplinäre Wissenschaft

Heute betrachten Forschende menschliche Mumien – nicht nur aus Ägypten – als wertvolle bioarchäologische Archive vergangenen Lebens und historischer Kulturen. Ihre Untersuchung mit Methoden aus unterschiedlichen Fachrichtungen ermöglicht es, Erkenntnisse über die Menschen, ihre Lebensweise und Lebensbedingungen, Glaubensvorstellungen und Traditionen zu gewinnen. Bildgebende Verfahren der Radiologie liefern einen zerstörungsfreien Blick ins Körperinnere. Sie erlauben Rückschlüsse auf Geschlecht und Sterbealter, körperliche Leiden, medizinische Behandlungen und Manipulationen am Leichnam. Molekulargenetische und bioarchäometrische Analysen können Fragen zu Alter, Herkunft, Mobilität und Migration, verwandtschaftlichen Beziehungen, Ernährungsgewohnheiten und Erkrankungen der Menschen beantworten.

Seit 1992 treffen sich MumienforscherInnen aus der ganzen Welt in regelmäßigen Turnus auf dem „World Congress on Mummy Studies“. Dort stellen sie neueste Forschungserkenntnisse vor, tauschen sich mit FachkollegInnen aus, entwickeln und diskutieren neue Ideen. Vom 5. bis 9. September 2022 findet die internationale Konferenz in Bozen, Südtirol, statt. WissenschaftlerInnen des an den Reiss-Engelhorn-Museen angesiedelten German Mummy Project werden dort ihre Forschungen zu Mumifizierungstechniken an altägyptischen Kindermumien präsentieren.

Neugierig geworden?

Erfahren Sie mehr über die Arbeit des German Mummy Project. Seit 2004 ist es an den an den Reiss-Engelhorn-Museen beheimatet. Mit Hilfe modernster Methoden werden Mumien aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen ihre Geheimnisse entlockt.

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