Mittelalterliche Dorfgeschichten

Die archäologische Denkmalpflege an den Reiss-Engelhorn-Museen arbeitet zum Teil über Jahrzehnte immer wieder an denselben Fundorten in und um Mannheim, um so Schicht für Schicht mehr Wissen über vergangene Epochen zusammenzutragen. Von Zeit zu Zeit ermöglicht das Abreißen von Gebäuden oder auch das Abtragen von Humusböden für Neubauten schlagartig Einblicke, die zum Teil seit Jahrhunderten verborgen waren.  So ergeben sich insbesondere in Seckenheim und Heddesheim für die Zeit des Mittelalters immer wieder neue spannende Erkenntnisse.

Seckenheim

Seck. Hauptstraße 78 / katholisches Pfarramt

In einer Planierschicht am katholischen Pfarrhaus in Seckenheim kamen die bislang ältesten Siedlungsfunde im heutigen Ortskern zutage, die in karolingische Zeit (8.–9. Jh.) datiert werden können. Bisher waren einzig etwas ältere Grabfunde (6.–8. Jh.) von mehreren Stellen in Seckenheim bekannt. Die Reste der zugehörigen Siedlung, die – wie der auf -heim endende Ortsname nahelegt – im frühen 6. Jahrhundert von Franken gegründet wurde, fehlten bis heute.

Renchener Straße 4

Hingegen schon seit längerem durch Funde bezeugt ist eine größere Siedlung des Früh- und Hochmittelalters (7.–12. Jh.), die mindestens 740 m nordwestlich vom heutigen Ortskern entfernt lag und mind. ein Areal von ca. 9200 m2 umfasste. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um die im Lorscher Codex für das späte 8. Jahrhundert erwähnte Ortschaft Nordinowa. Ausgrabungen förderten Siedlungs- und Pfostengruben sowie die Reste von zwei Grubenhäusern zutage, die der Textilproduktion dienten. Von großer Seltenheit ist ein aus Neckarkieseln bestehender Weg, der inmitten der Grabungsfläche von Nordwest nach Südost verlief. Obwohl viele Steine fehlten, konnte er auf einer Länge von ca. 6 m mit einer Breite von ca. 1,5 m nachgewiesen werden. Zur Wasserversorgung der Siedlung diente ein trocken gemauerter Brunnen. Im 12./13. Jahrhundert wurde diese Siedlung jedoch wieder aufgegeben, verwertbares Baumaterial geborgen und abtransportiert. Selbst den Brunnen baute man bis auf wenige Lagen ab und ebnete das ganze Gelände ein.

Heddesheim

Vorstadtstraße 21 und 27    

Dank der Archäologen der Reiss-Engelhorn-Museen erweitern sich auch für Heddesheim zusehends unsere Kenntnisse zu der einstigen mittelalterlichen Bebauung. Beim Abtragen des Humusbodens für ein neues Wohnhaus in der Vorstadtstraße 27 kamen archäologisch relevante Baustrukturen zutage, die sich als ein Grubenhaus von ca. 3,6 m Länge und ca. 2,3 m Breite und mehrere Pfostengruben herausstellten. Die in das Früh- bis Hochmittelalter datierenden Befunde dieser Fläche gehören gemeinsam mit einem hochmittelalterlichen Grubenhaus in der Vorstadtstraße 21 zu einer Siedlung unbekannten Namens im Umfeld von Heddesheim.

Vorstadtstraße 6

Aus derselben Straße stammen auch antike Funde, die bis in die frühe Latènezeit (ca. 5. Jh. v. Chr.) reichen. Zu den ältesten frühmittelalterlichen Funden des 7. Jahrhunderts zählt hier eine bronzene Riemenzunge sowie als Siedlungsbestattung ein Kindergrab mit der Beigabe einer Halskette. Bei den Befunden aus der Karolingerzeit (8.–9. Jh.) und dem Hochmittelalter (10.–12. Jh.) handelte es sich im Wesentlichen um Siedlungs- und Pfostengruben, kleine Gräben, Kellergruben und eine neuzeitliche Grube mit einem Schweineskelett. Bemerkenswert war eine über 17 m lange Reihe von Staken, die vermutlich zu einem Zaun gehörten. Ins Hochmittelalter datierbare zylinderförmige Gruben können möglicherweise als Silos zur Bevorratung von Lebensmitteln gedient haben.

Ausblick

Siedlungen, wie sie jetzt an verschiedenen Stellen der Vorstadtstraße (6, 14, 16, 21, 27), Oberdorfstraße (3, 19) und Weidigstraße 1 nachgewiesen werden konnten, befanden sich in Heddesheim auch in den „Gänsgräben“ (6./ 7. Jh.) und im Neubaugebiet der Uhlandstraße (1. Hälfte 6. Jh.). Wo sich das Heddesheim aus dem frühen 6. Jahrhundert befand, ist bislang ungeklärt. Es ist im nahen Umfeld des Gräberfeldes (6.–8. Jh.) nördlich der heutigen Remigiuskirche im „Musikerviertel“ (J.-S. Bach-Straße, Beethovenstraße, Viernheimer Straße) zu vermuten.

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